DER KÜNSTLER UND DAS KUNSTWERK
EINE UMFRAGE
Zu Beginn des neuen Jahrganges der »Kunstwelt« haben wir, um das Verhältnis der
lebenden Künstler zu den hervorragendsten Kunstsdhöpfungen der Vergangenheit und Gegen-
wart zu erfahren, an viele bedeutende Repräsentanten des Kunstschaffens von heute
eine Rundfrage folgenden Inhalts gerichtet:
Welche Kunstwerke haben in Ihrem Leben den größten Eindruck
auf Sie gemacht?
Unsere besten Künstler und Kunstkenner haben sich zu dieser Frage geäußert. Wir
erhielten eine Reihe hochinteressanter Antworten, die in jedem Falle den künstlerischen In-
dividualitäten entsprechen, von denen sie ausgingen, und welche auch über Deutschlands
Grenzen hinaus gewiß die Aufmerksamkeit aller Kunstfreunde finden werden.
Wir lassen die einzelnen Zuschriften hier folgen.
Der hervorragende Marinemaler
Hans v. Bartels-München
schreibt uns:
„Sehr starken Eindruck haben folgende Kunst-
werke auf mich gemacht: Das Porträt des
Papstes Innocenz X. im Doriapalast zu
Rom von Velasquez. „Homer" von Rem-
brandt im Mauritzhuis im Haag. „Der Narr"
von Frans Hals im Amsterdamer Ryksmuseum
und „Die Skizze einer holländischen Stadt"
im Mesdag-Museum im Haag von Jacob Maris.
Der Generaldirektor der Königl. Museen zu
Berlin, Wirkl. Geheimer Rat
Exzellenz Dr. Wilhelm Bode
sendet uns folgende besonders bemerkenswerte
Antwort:
„Andres Städtchen — andres Mädchen!" Bin
ich in London, so gibts nichts Schöneres als
J. v. Eycks „Ehepaar Arnolfini". In Mai-
land schwöre ich auf Dom. Venezianos
„Contessina dei Bardi". In Rom denke ich
nicht höher als die „Irdische und himmlische
Liebe" von Tizian und in Amsterdam er-
scheint mir Rem b ran dt s „Staalmeesters" als
das großartigste aller Gemälde!"
Ein Altmeister der deutschen Malerei, der
kürzlich sein siebzigstes Lebensjahr vollendete,
Eugen Bracht
nennt uns folgende Kunstwerke, die den stärk-
sten Eindruck auf ihn gemacht haben, „wobei
er die Frage wörtlich nimmt, ganz unabhängig
von seiner Vorstellung des absoluten Wertes
der Werke selbst":
„1. „Der unfertige Kölner Dom" in den
1850er Jahren, insbesondere das damals allein
fertige Südportal, wobei ein niederes Langschiff
den Krahnenturm mit dem isoliert ragenden
hohen Chor verband, sodaß die drei Massen
gerade wegen der fehlenden Verbindung den
Eindruck des Unermeßlichen erweckten.
2. Die englischen Porträtzeichnungen
von Hans Holbein. Arundel-Society-Pub-
likation, im Jahre 1876, als ich wieder Maler
geworden war, mit dem Eindruck: So viel mit
so Wenigem! als etwas mir Unbegreiflichem!
3. Zwei schwarzf igurige Vasen in Athen.
Brautzug und Trauerzug, mit der Vorstellung
vollendetster Endglieder des Ringens mehr als
einer Generation um ein Können, das niemals
auf der Welt wieder erreicht werden wird.
4. Das „Kasr Fi raun", das große Grabportal
zu Petra, von dem niemand reden sollte, der
es nicht gesehen hat, und das in seiner An-
passung an äußere Verhältnisse im höchsten
Maße das erfüllt, was es soll: den stärksten
Eindruck auszulösen."
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EINE UMFRAGE
Zu Beginn des neuen Jahrganges der »Kunstwelt« haben wir, um das Verhältnis der
lebenden Künstler zu den hervorragendsten Kunstsdhöpfungen der Vergangenheit und Gegen-
wart zu erfahren, an viele bedeutende Repräsentanten des Kunstschaffens von heute
eine Rundfrage folgenden Inhalts gerichtet:
Welche Kunstwerke haben in Ihrem Leben den größten Eindruck
auf Sie gemacht?
Unsere besten Künstler und Kunstkenner haben sich zu dieser Frage geäußert. Wir
erhielten eine Reihe hochinteressanter Antworten, die in jedem Falle den künstlerischen In-
dividualitäten entsprechen, von denen sie ausgingen, und welche auch über Deutschlands
Grenzen hinaus gewiß die Aufmerksamkeit aller Kunstfreunde finden werden.
Wir lassen die einzelnen Zuschriften hier folgen.
Der hervorragende Marinemaler
Hans v. Bartels-München
schreibt uns:
„Sehr starken Eindruck haben folgende Kunst-
werke auf mich gemacht: Das Porträt des
Papstes Innocenz X. im Doriapalast zu
Rom von Velasquez. „Homer" von Rem-
brandt im Mauritzhuis im Haag. „Der Narr"
von Frans Hals im Amsterdamer Ryksmuseum
und „Die Skizze einer holländischen Stadt"
im Mesdag-Museum im Haag von Jacob Maris.
Der Generaldirektor der Königl. Museen zu
Berlin, Wirkl. Geheimer Rat
Exzellenz Dr. Wilhelm Bode
sendet uns folgende besonders bemerkenswerte
Antwort:
„Andres Städtchen — andres Mädchen!" Bin
ich in London, so gibts nichts Schöneres als
J. v. Eycks „Ehepaar Arnolfini". In Mai-
land schwöre ich auf Dom. Venezianos
„Contessina dei Bardi". In Rom denke ich
nicht höher als die „Irdische und himmlische
Liebe" von Tizian und in Amsterdam er-
scheint mir Rem b ran dt s „Staalmeesters" als
das großartigste aller Gemälde!"
Ein Altmeister der deutschen Malerei, der
kürzlich sein siebzigstes Lebensjahr vollendete,
Eugen Bracht
nennt uns folgende Kunstwerke, die den stärk-
sten Eindruck auf ihn gemacht haben, „wobei
er die Frage wörtlich nimmt, ganz unabhängig
von seiner Vorstellung des absoluten Wertes
der Werke selbst":
„1. „Der unfertige Kölner Dom" in den
1850er Jahren, insbesondere das damals allein
fertige Südportal, wobei ein niederes Langschiff
den Krahnenturm mit dem isoliert ragenden
hohen Chor verband, sodaß die drei Massen
gerade wegen der fehlenden Verbindung den
Eindruck des Unermeßlichen erweckten.
2. Die englischen Porträtzeichnungen
von Hans Holbein. Arundel-Society-Pub-
likation, im Jahre 1876, als ich wieder Maler
geworden war, mit dem Eindruck: So viel mit
so Wenigem! als etwas mir Unbegreiflichem!
3. Zwei schwarzf igurige Vasen in Athen.
Brautzug und Trauerzug, mit der Vorstellung
vollendetster Endglieder des Ringens mehr als
einer Generation um ein Können, das niemals
auf der Welt wieder erreicht werden wird.
4. Das „Kasr Fi raun", das große Grabportal
zu Petra, von dem niemand reden sollte, der
es nicht gesehen hat, und das in seiner An-
passung an äußere Verhältnisse im höchsten
Maße das erfüllt, was es soll: den stärksten
Eindruck auszulösen."
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