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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Brandes, Georg: Bei Auguste Rodin
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0595

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BEI AUGUSTE RODIN. VON
GEORG BRANDES.

Autorisierte Übersetzung von ERICH HOLM.

Fest, kräftig, sorgfältig gekleidet, stand er mit
seinen kurzgeschorenen, doch vollen, weißen
Haaren, seinem Flußgottbart, ein Lächeln auf
den Lippen, da; die blassen, nicht kurzsichtigen,
nicht weitsichtigen Augen auf die Tür geheftet,
die von dem äußersten Atelier zu einem der
inneren Säle des Palais Biron führen.

I.

Es gab genug, womit man die zehn Minuten
ausfüllen konnte, bevor man zum Frühstück
fuhr. Ägyptische Bildhauerarbeiten waren in
großer Zahl angelangt und aufgestellt; ein be-
malter Mumiensarg, der gleich dem Übrigen aus
Ägypten herausgeschmuggelt worden, lag noch
in der Holzkiste, in der man ihn versendet hatte.

Eine erlesene kleine Marmorgruppe war voll-

MARMORBUESTE DES GYMNASIALDIREKTORS ELLENDT

STANISLAUS CAUER

endet. Unter den Büsten, die den Raum rings-
um füllten, befanden sich etliche, die, vor zehn
Monaten erst in Ton modelliert, nun im
Bronzeabguß dastanden.

Die Gustav Mahlers hatte den Kopf hochge-
hoben, als dirigiere er ein Orchester. Neben
ihm der Kopf Octave Mirbeaus mit den gespannten
Zügen und den Augen eines Irren. Clemen-
ceaus Büste war in zwei Exemplaren vorhan-
den, das eine ein erster Versuch, etwas ver-
schlossen, das andere den ganzen Charakter,
das Herbe, Stolze, Gebieterische des Mannes
offenbarend. Dann das Faungesicht der Her-
zogin von Choiseul, auf ein Haar getroffen.
Dann ein junger Amerikaner, wie es deren so
viele gibt, nicht dumm, nicht klug, nicht fade
und nicht interessant; eine Bestellung. Ver-
suchsweise war von ihm auch noch eine Ter-
rakotta gemodelt, an der das Haar weggelassen
war, wodurch das Profil eine Ähnlichkeit mit
dem Dantes erhalten hatte, doch ohne dessen
Größe und Vornehmheit zu tragen. Noch
eine Terrakottabüste, die Bernhard Shaws, des
rotbärtigen englischen Satyrikers unter den
Dramatikern, reihte sich an.

Die Franzosen verstehen ihn sehr schlecht, aber
Rodin hat ihn verstanden. Und dort liegt eine
leicht gefärbte Maske von Madame Rodin, vor
dreißig Jahren in päte de verre ausgeführt, nun
erst hervorgeholt; eine feine und sprechende,
eine lebende Erinnerung an eine Jugend, die
nicht mehr ist.

Hier eine große, sehr schöne Bronzegruppe,
der Abschied von Romeo und Julie auf dem
Balkon, die letzte Umarmung, bevor der Jüng-
ling die Strickleiter hinabsteigt.

Doch jene kleine Marmorgruppe lockt stärker
noch durch ihre Originalität. Adam und Eva.
Der Apfelbaum mit so dichtem Laubwerk bis
ganz hinunter zur Erde, daß die zurückgelehnte
Eva sich mit dem einen nackten Bein durch
die Blätterwand Bahn gebrochen hat. Die
Schlange windet sich um den Baum und an
den Menschen empor, die ganz im ersten glü-
henden Kusse versunken sind. Adam neigt das
Haupt zur Eva herab, indem er sie umschlingt;
den Kopf von dem seinem überschattet, am
Leibe zitternd, hält sie den Apfel fest in der
Hand. - - Es gibt ja Länder, wo die Kunst, um
rein zu erscheinen, geschlechtlos sein muß.
Das ist sie auf französischem Boden nicht, und
Rodin hat noch in seinem hohen Alter frische
Sinne und warme Sinnlichkeit . . .

Was schreibt die junge Dame so eifrig dort
an ihrer Schreibmaschine? Doch wohl nicht
Briefe auf so vielen Bogen?

„Nein, sie schreibt mein Buch „Les Cathe-
drales" ins Reine."

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