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KUNST UND MORAL
stehung, Weiterentwickelung,
Rezeption, Kompilation und
Kodifikation aller Rechts-
arten auskennen und sich
jeden beliebigen Paragraphen
kommentieren können, so
wird er doch vom berufs-
mäßigen, vom ausübenden
Juristen als Laie angesehen
werden; er ist nicht vom
Bau, er hat keinen Kalk
an den Sachen hängen,
folglich darf er nicht mit-
reden.
In Kunstdingen scheint es
nicht anders zu sein. Immer
wird der Laie seine Ansicht
fröhlicher marsch. Silhouette th. crampe nur schüchtern sagen dür-
fen, besonders dann, wenn
zelne, der für die Menschheit einstehen und Künstlerohren in der Nähe hören. Das ist nun
ihre Herrschaft festigen kann. Nur von dem merkwürdig, daß der, der etwas ertragen muß,
Einzelnen hat die Kunst etwas zu erwarten — nicht laut murren darf.
fühlen wir uns alle, als Einzelne, für die „Ertragen?" Ach ja, das Wort ist so aus
Menschheit verantwortlich und ziehen wir als der Feder geschlüpft, um an dem Ver-
solche einen schützenden Kreis um die wahre fasser Verrat zu üben. Es ist nun einmal
ringende Kunst, dann hat die moralische Miß- heraus. Wenn schon nach altem deutschen
geburt jeder Lex Heinze ihre Macht verloren Recht der Verurteilte seine Richter noch einmal
und verfällt, wie alle dergestaltigen Kinder der tüchtig ausschimpfen konnte, so muß sich auch
Prüderie und der sittlichen Unreife, dem wohl- der Mensch der fortentwickelten Gegenwart über
verdienten ewigen Fluch der Lächerlichkeit, dem das, was er an Kunst ertragen muß, aussprechen
heilsamen und unauslöschlichen Gelächter der dürfen.
Menschheit. Mag also der Laie auch nichts verstehen von
der Technik der Künste, mag er nicht wissen,
GEDANKEN EINES LAIEN ÜBER wie viel sPäne erst vom sPlint des Stammes
DIE KUNST DER GEGEN- nerurit:er müssen, bis eine schön polierte Pfoste
xvr a n t wa\t du m nrrvAr r>T die Türfüllung hergibt, und mag er den Geheim-
WART. VON EMIL PETZOLD. nissen der Verkeilungen auch mit der un-
Darf der Laie überhaupt mitreden, wenn es durchdringlichen Finsternis seiner Unwissenheit
die Künste betrifft? Es ziemte
ihm vielleicht, lieber beiseite zu _.
stehen und das Urteil der Be- äS^^ h-e^vp.
rufenen ehrerbietig hinzunehmen ?
Wenn das Wort „Berufener"
auftaucht, so kann man wieder
fragen, welche Kennzeichen dieser
haben muß, und der Sarkasti-
sche kann einwenden, daß zwar
viele berufen, aber wenige auser-
wählt seien.
Es wird also immer darüber ge-
stritten werden können, wer ein
Urteil über Kunstdinge mit dem
Ansprüche auf Beachtung abgeben
dürfe.
Einer kann ein sehr kluger Kopf
sein und über das, was Recht ist,
die schärfsten Deduktionen geben, weinprobe. Silhouette th. crampe
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KUNST UND MORAL
stehung, Weiterentwickelung,
Rezeption, Kompilation und
Kodifikation aller Rechts-
arten auskennen und sich
jeden beliebigen Paragraphen
kommentieren können, so
wird er doch vom berufs-
mäßigen, vom ausübenden
Juristen als Laie angesehen
werden; er ist nicht vom
Bau, er hat keinen Kalk
an den Sachen hängen,
folglich darf er nicht mit-
reden.
In Kunstdingen scheint es
nicht anders zu sein. Immer
wird der Laie seine Ansicht
fröhlicher marsch. Silhouette th. crampe nur schüchtern sagen dür-
fen, besonders dann, wenn
zelne, der für die Menschheit einstehen und Künstlerohren in der Nähe hören. Das ist nun
ihre Herrschaft festigen kann. Nur von dem merkwürdig, daß der, der etwas ertragen muß,
Einzelnen hat die Kunst etwas zu erwarten — nicht laut murren darf.
fühlen wir uns alle, als Einzelne, für die „Ertragen?" Ach ja, das Wort ist so aus
Menschheit verantwortlich und ziehen wir als der Feder geschlüpft, um an dem Ver-
solche einen schützenden Kreis um die wahre fasser Verrat zu üben. Es ist nun einmal
ringende Kunst, dann hat die moralische Miß- heraus. Wenn schon nach altem deutschen
geburt jeder Lex Heinze ihre Macht verloren Recht der Verurteilte seine Richter noch einmal
und verfällt, wie alle dergestaltigen Kinder der tüchtig ausschimpfen konnte, so muß sich auch
Prüderie und der sittlichen Unreife, dem wohl- der Mensch der fortentwickelten Gegenwart über
verdienten ewigen Fluch der Lächerlichkeit, dem das, was er an Kunst ertragen muß, aussprechen
heilsamen und unauslöschlichen Gelächter der dürfen.
Menschheit. Mag also der Laie auch nichts verstehen von
der Technik der Künste, mag er nicht wissen,
GEDANKEN EINES LAIEN ÜBER wie viel sPäne erst vom sPlint des Stammes
DIE KUNST DER GEGEN- nerurit:er müssen, bis eine schön polierte Pfoste
xvr a n t wa\t du m nrrvAr r>T die Türfüllung hergibt, und mag er den Geheim-
WART. VON EMIL PETZOLD. nissen der Verkeilungen auch mit der un-
Darf der Laie überhaupt mitreden, wenn es durchdringlichen Finsternis seiner Unwissenheit
die Künste betrifft? Es ziemte
ihm vielleicht, lieber beiseite zu _.
stehen und das Urteil der Be- äS^^ h-e^vp.
rufenen ehrerbietig hinzunehmen ?
Wenn das Wort „Berufener"
auftaucht, so kann man wieder
fragen, welche Kennzeichen dieser
haben muß, und der Sarkasti-
sche kann einwenden, daß zwar
viele berufen, aber wenige auser-
wählt seien.
Es wird also immer darüber ge-
stritten werden können, wer ein
Urteil über Kunstdinge mit dem
Ansprüche auf Beachtung abgeben
dürfe.
Einer kann ein sehr kluger Kopf
sein und über das, was Recht ist,
die schärfsten Deduktionen geben, weinprobe. Silhouette th. crampe
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