Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0098
DOI Artikel:
Der Künstler und das Kunstwerk: eine Umfrage
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0098
DER KUNSTLER UND DAS KUNSTWERK
abgelöst wurden. Da müßte ich weit aus-
greifen. . . . Nennen will ich nur ein Bild,
zu dem es mich immer wieder gezogen hat:
„Ansicht von Delft" von van der Meer
(von Delft) im Museum im Haag. Dies ist
meine spezielle Liebe oder eine davon."
*
Der bekannte Dresdener Kunsthistoriker und
Lionardoforscher
Geh. Rat W. v. Seidlitz
sendet uns folgende Antwort:
„Die Frage ist schwierig, da es sich nicht
um ein Urteil, sondern um eine Empfindung
handelt und damit doch wohl nicht das Ge-
fallen an dem dargestellten Gegenstande, sondern
die Freude am Kunstwerk gemeint sein wird.
Sonst würden wohl leicht Darstellungen be-
sonders schöner Personen oder besonders
schöner Gegenden oder besonders packender
Vorgänge als diejenigen zu bezeichnen sein,
die den stärksten Eindruck gemacht haben.
Andrerseits wird hier nicht leicht eines der
„klassischen" Kunstwerke in Frage kommen,
weder von Phidias noch von Raphael, Leonardo
oder Michelangelo, da sie schließlich, wie das
bei so lange gereiften Werken erklärlich ist,
mehr zum Verstände als zum Gefühl sprechen.
Von gewissen Bauwerken, wie z. B. den
Caraealla-Thermen und dem Innern des Pan-
theon, muß ich gestehen, daß sie einen über-
wältigenden Eindruck auf mich gemacht haben;
dasselbe gilt von einigen Statuen der ältesten
Zeiten: aber sie sind unserem Empfinden zu
weit entrückt, als daß sie unmittelbar zu uns
sprechen könnten. Dem Eindrucke, den Bach
und Beethoven, oder auf dem Gebiete der
Literatur Shakespeare und Goethe auf uns
machen, läßt sich im Bereiche der bildenden
Kunst doch wohl nur die Malerei vergleichen.
Aber wie wir Richard Wagner und Kleist, so
sehr sie uns hinreißen, doch nicht ohne Kritik
HERRENZIMMER. Kiefer geräuchert
Entwurf: ALBERT GESSNER
69
abgelöst wurden. Da müßte ich weit aus-
greifen. . . . Nennen will ich nur ein Bild,
zu dem es mich immer wieder gezogen hat:
„Ansicht von Delft" von van der Meer
(von Delft) im Museum im Haag. Dies ist
meine spezielle Liebe oder eine davon."
*
Der bekannte Dresdener Kunsthistoriker und
Lionardoforscher
Geh. Rat W. v. Seidlitz
sendet uns folgende Antwort:
„Die Frage ist schwierig, da es sich nicht
um ein Urteil, sondern um eine Empfindung
handelt und damit doch wohl nicht das Ge-
fallen an dem dargestellten Gegenstande, sondern
die Freude am Kunstwerk gemeint sein wird.
Sonst würden wohl leicht Darstellungen be-
sonders schöner Personen oder besonders
schöner Gegenden oder besonders packender
Vorgänge als diejenigen zu bezeichnen sein,
die den stärksten Eindruck gemacht haben.
Andrerseits wird hier nicht leicht eines der
„klassischen" Kunstwerke in Frage kommen,
weder von Phidias noch von Raphael, Leonardo
oder Michelangelo, da sie schließlich, wie das
bei so lange gereiften Werken erklärlich ist,
mehr zum Verstände als zum Gefühl sprechen.
Von gewissen Bauwerken, wie z. B. den
Caraealla-Thermen und dem Innern des Pan-
theon, muß ich gestehen, daß sie einen über-
wältigenden Eindruck auf mich gemacht haben;
dasselbe gilt von einigen Statuen der ältesten
Zeiten: aber sie sind unserem Empfinden zu
weit entrückt, als daß sie unmittelbar zu uns
sprechen könnten. Dem Eindrucke, den Bach
und Beethoven, oder auf dem Gebiete der
Literatur Shakespeare und Goethe auf uns
machen, läßt sich im Bereiche der bildenden
Kunst doch wohl nur die Malerei vergleichen.
Aber wie wir Richard Wagner und Kleist, so
sehr sie uns hinreißen, doch nicht ohne Kritik
HERRENZIMMER. Kiefer geräuchert
Entwurf: ALBERT GESSNER
69