DER KÜNSTLER UND DAS KUNSTWERK
entgegentreten, so werden ein Böcklin oder
Manet — von den Allerneuesten zu schweigen -
uns keinen völlig uneingeschränkten Genuß
bereiten können. Die neue Kunst dürfte also
ebenso wie die alte hier auszuscheiden sein,
wenn auch zuzugeben ist, daß es ganz auf
die Umstände ankommt, unter denen uns ein
Kunstwerk zum erstenmal entgegentritt.
Für mich bleibt deshalb nur jene Zwischen-
zeit übrig, in der das Neue, das noch jetzt
unseren Lebensinhalt ausmacht, Gestalt zu finden
begann. Etwas derartiges habe ich beim An-
blick der Straßenansicht mit einbrechender
Dämmerung empfunden, die Van Eyck auf
der Rückseite seiner Tafeln mit Adam und Eva
im Brüsseler Museum als Seitenteil seiner Ver-
kündigungsszene gemalt hat; ähnlich auch bei
Ruisdaels Windmühle mit bewegtem Abend-
himmel in Amsterdam, worauf die drei Stadt-
damen spazieren gehen; oder bei Hobbemas
schnurgerader Allee in der Londoner Galerie.
Am stärksten aber doch wohl bei Rembrandts
Familienbild in der Braunschweiger Galerie,
dessen Einzelheiten ich mir nicht zu ver-
gegenwärtigen vermag, da mir im Augenblick
keine Abbildung zur Hand ist, das mir aber
seinem Gesamteindruck nach noch nach Jahr-
zehnten lebendig und ausdrucksvoll vorschwebt,
wie diese Menschen, das Ehepaar mit den ab-
gearbeiteten Gesichtern und die zappelige,
koboldartige Kinderschar, sich im Garten von
dem Düster des Himmels abheben, während
ein paar lebhafte Flecken der Gewandfarben,
namentlich ein tief leuchtendes Blau und einiges
Rot, eine unbeschreibliche Bewegung in das Bild
bringen, so daß man hier fühlt, die Natur sei
durch die Kunst weit übertroffen worden, ein
Ergebnis, das so oft auf falschen Wegen und
so selten auf dem richtigen angestrebt wird!"
Wilhelm Steinhäuser], Frankfurt a. M.
der echt deutsche Künstler, ebenso geschätzt
als Maler wie als Graphiker, will keine einzelnen
Kunstwerke nennen:
„Welches Kunstwerk im Laufe meines Lebens
den stärksten Eindruck auf mich gemacht hat?
Ich besinne mich: Ja, das war's, als ich
nein, doch nicht, ein anderes ist es, das ich
nie vergaß — halt, ein drittes! Stehe ich nicht
entgegentreten, so werden ein Böcklin oder
Manet — von den Allerneuesten zu schweigen -
uns keinen völlig uneingeschränkten Genuß
bereiten können. Die neue Kunst dürfte also
ebenso wie die alte hier auszuscheiden sein,
wenn auch zuzugeben ist, daß es ganz auf
die Umstände ankommt, unter denen uns ein
Kunstwerk zum erstenmal entgegentritt.
Für mich bleibt deshalb nur jene Zwischen-
zeit übrig, in der das Neue, das noch jetzt
unseren Lebensinhalt ausmacht, Gestalt zu finden
begann. Etwas derartiges habe ich beim An-
blick der Straßenansicht mit einbrechender
Dämmerung empfunden, die Van Eyck auf
der Rückseite seiner Tafeln mit Adam und Eva
im Brüsseler Museum als Seitenteil seiner Ver-
kündigungsszene gemalt hat; ähnlich auch bei
Ruisdaels Windmühle mit bewegtem Abend-
himmel in Amsterdam, worauf die drei Stadt-
damen spazieren gehen; oder bei Hobbemas
schnurgerader Allee in der Londoner Galerie.
Am stärksten aber doch wohl bei Rembrandts
Familienbild in der Braunschweiger Galerie,
dessen Einzelheiten ich mir nicht zu ver-
gegenwärtigen vermag, da mir im Augenblick
keine Abbildung zur Hand ist, das mir aber
seinem Gesamteindruck nach noch nach Jahr-
zehnten lebendig und ausdrucksvoll vorschwebt,
wie diese Menschen, das Ehepaar mit den ab-
gearbeiteten Gesichtern und die zappelige,
koboldartige Kinderschar, sich im Garten von
dem Düster des Himmels abheben, während
ein paar lebhafte Flecken der Gewandfarben,
namentlich ein tief leuchtendes Blau und einiges
Rot, eine unbeschreibliche Bewegung in das Bild
bringen, so daß man hier fühlt, die Natur sei
durch die Kunst weit übertroffen worden, ein
Ergebnis, das so oft auf falschen Wegen und
so selten auf dem richtigen angestrebt wird!"
Wilhelm Steinhäuser], Frankfurt a. M.
der echt deutsche Künstler, ebenso geschätzt
als Maler wie als Graphiker, will keine einzelnen
Kunstwerke nennen:
„Welches Kunstwerk im Laufe meines Lebens
den stärksten Eindruck auf mich gemacht hat?
Ich besinne mich: Ja, das war's, als ich
nein, doch nicht, ein anderes ist es, das ich
nie vergaß — halt, ein drittes! Stehe ich nicht