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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Frobenius, Leo: Alte und junge afrikanische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0148

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ALTE UND JUNGE AFRIKANISCHE KUNST

wir noch viel geschwinder als früher die Ernten
aus dem eingestreuten Kultursamen ziehen, und
so ist es eine selbstverständliche Erscheinung, daß
die Disharmonie wächst, daß jene Menschen nicht
mehr die Zeit haben, sich uns anzupassen, daß
sie nur in der oberflächlichsten Weise das von
uns übergebene Gut reproduzieren.

Das Ganze ist wie gesagt eine Tragödie. Sie
wird dadurch noch erschreckender, daß wir
auch die Werkzeuge aus der Hand verloren
haben, die in alter Zeit höhere Kulturvölker
anwenden konnten, wenn sie niederen Geist
ausarbeiten wollten. In der alten Zeit trugen
die Höheren eine mit dem ganzen Leben und
mit der ganzen Daseinsform verwachsene mo-
numentale Mythologie und symbolische Denk-
weise und abgeklärte kosmogonische Anschauung
über die Erde. Damals spielte besonders bei
den Kultivatoren in den fremden Ländern die
Schrift noch gar keine Rolle! Der höhere Mensch

trat dem niederen mit demselben Macht- und
Kraftausdrucke entgegen, nämlich mit der Kapa-
zität und mit großen Naturvorstellungen. Heute
dagegen bauen wir alles auf aus der Schrift
und auf einer ethischen Religion. Die Schrift
bedeutet eine Entlastung der Kopftätigkeit, die
Veräußerung, und die ethische Religion können
jene nicht begreifen. So muß die Disharmonie
wachsen. Sie wird immer weiter gehen, und
so lange die Europäer nicht beizeiten lernen,
statt der Schriftlehre und der Religionslehre
Menschen hinauszusenden, die sich in die Hand-
werkstätigkeit und das Geistesleben jener Menschen
vertiefen, um sich dann mit ihnen auf einer jenen
Leuten verständlichen Basis auseinandersetzen zu
können, so lange werden wir auch keine Erfolge
in kultureller Beziehung haben, wenn man nicht
etwa das als Erfolg bezeichnen will, daß jene uns
affenartig nachahmen!

Das ist die Tragödie der afrikanischen Kunst.

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