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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Wintzer, Richard: Die Grenzen zwischen Malerei und Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0160

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DIE GRENZEN ZWISCHEN MALEREI UND MUSIK

sehen, während der
Musiker sein geisti-
ges Auge nach innen
richten muß, dort zu
suchen und wieder-
zugeben, was der
Blick des wirklichen
Auges in Natur und
Außenwelt auf dem
Grunde der Seele
als Reflexwirkung zu-
rückgelassen hat. So
sehen wir zwei voll-
ständig verschiedene
Arten des Hervor-
bringens, und es liegt
nahe, sie in Bezie-
hung zu setzen, Ver-
gleiche anzustellen
und zu forschen, wo
das Gebiet des einen
aufhört und das des
anderen anfängt.

Es besteht heut-
zutage, wenn man so
sagen darf, ein inni-
ges Sichverwandtfüh-
len aller Künste, die
Literatur mit eins-e-

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schlössen. Wo wäre
eine Lyrik, die nicht

Musik in sich trüge? _____ m___—, .^^i^^—

Aber mehr als in an- " "———._.^H^HMpfl

deren Zeiten strebt SC "■—"■ ^"sr-'- ■ " - , '*'s<-^__; •-"

man in unserm Zeit- SK^ "" ' • ' ^-Jmjl^^^

sehen, in Versen Mu- ^ m '-^ ' . '■- n~ -^immfil^Sr

sik machen zu wollen, kapelle auf dem Friedhof der berliner st. petrigemeinle. portal

als Maler m musika- architekt walter koeppen

lischen Farbenakkor-

dien zu schwelgen und als Musiker zu malen, die Malerei im Wesentlichen mit Gedanken in

„mit Pinsel und Palette in der Hand". Nie- Form und Farbe zu tun. Sobald da eine oder

mand ist zufrieden mit seinen Ausdrucksmitteln die andere Kunst hinübereilt zur Schwester, dort

und möchte vom andern entlehnen, was nur er- Anleihen zu machen, beweist sie dadurch ihr

hältlich; die Worte reichen nicht mehr hin — testimonium paupertatis, wenn auch zuweilen an-

so soll der Rhythmus und die „Musik der Sprache" fänglich die seltsame Wirkung solcher Anleihe

das fehlende ergänzen, ohne daß aber der Dichter blendet und zu falschen Schlüssen veranlaßt,
merkt, daß ihm damit ein Hauptreiz seiner Kunst Es ist oft von der Verschmelzung aller Künste

verloren geht, nämlich ihre ureigenste Individualität, im Musikdrama Richard Wagners die Rede ge-

die ihr eben als Dichtkunst das Gepräge gibt, wesen, die zu den weitgehendsten Erörterungen

wie der Malerei die Farbe und der Musik der Anlaß gegeben hat. Meistens war man dabei im

Ton. Immer wird da, wo die Grenzen der Aus- Irrtum, wenn man annahm, Wagner habe das

drucksfähigkeit einer Kunst überschritten werden, Aufhören der einzelnen Künste zu Gunsten der

eine Abnahme ihrer Wirkung als suggestive Kraft Gesamtwirkung aller im Auge gehabt, was eine

zu bemerken sein, und das leitet stets den Verfall allmähliche Zerstörung der Eigenart und damit der

ein. Die Dichtkunst hat es mit Gedanken in überzeugenden Macht jeder einzelnen zur Folge

Worten, die Musik mit Gedanken in Tönen, und gehabt hätte. Das kann er — der Weitsichtige —

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