DIE GRENZEN ZWISCHEN MALEREI UND MUSIK
Ist es nicht lächer-
lich, aus Shakespeare-
schen Dramen Opern
zu fabrizieren? Als ob
man damit sa°;en woll-
o| te: „So wirkt es doch
p noch ganz anders, lie-
ber Shakespeare, im
«■? Gewände dieser Mu-
sik!" Auch der grüßte
und genialste Kompo-
nist wird nicht fähig
% sein, die Wirkung des
Goetheschen „Faust"
zu erhöhen, indem er
die Worte komponiert.
Im Gegenteil; schon
die Ausdehnung der
musikalischen Sprache
würde auf das Drama
S schädlich wirken, da
m die Musik kurze,
knappste Diktion ver-
langt, während in
|| Goethes Meisterwerk
ausführlich und eino-e-
m hend alles gesagt ist,
so daß der Musik zu
sagen nichts mehr
übrig bleibt.
Mag man nun über
das musikalische Dra-
ma, das eine Kunst-
^j^™ " form für sich ist, den-
^t^^^ßfr^ ken, wie man will,
mag man die Verqui-
ckung des Werkes mit
der Musik als berech-
tigtanerkennen, indem
KAPELLE AUF DEM FRIEDHOF DER BERLINER ST. PETRI-QEMEINDE. VORRAUM man die Sprache als
ARCHITEKT WALTER KOEPPEN . A , ^
eine Art I onrvtnmus
ansieht, aus dem die
unmöglich gemeint haben, wenn er in den Dienst musikalische Einkleidung logisch herauswächst,
der in Musik gesetzten Dichtung; auch die Malerei so o;eht man doch höchlichst in der Irre, wenn
stellen wollte, die ihm nur in weit vollendeterer man einer Verschmelzung der Ausdrucksmittel
Weise „Handlangerdienste" leisten sollte, als es von Musik und Malerei Vorschub leistet und diese
in Zeiten geschah, da die Dekorationen der Opern beiden Künste nicht vollkommen auseinanderhält,
wegen ihrer Primitivität der Lächerlichkeit anheim- Die Extreme berühren sich: Grade in einer
fielen. Die Oper — oder sagen wir: das musi- Zeit, in der der Naturalismus seine höchsten
kaiische Drama, ist, genau genommen — über- „Blüten" zeitigte, feierte ein Zurückgehen — nicht
haupt nichts vollkommen Selbständiges, etwa analog auf die Natur — aber auf die Malerei selbst —
dem Liede, da immer auf Kosten der einen Orgien: der sogenannte Praeraffaelismus. Die
Kunst die andere sich durchsetzen muß, dadurch Reaktion war gekommen, einige ganz Extreme
momentan deutlich den Mangel der Ausdrucks- hatten im Schmutz endlich nach der Blume
fähigkeit der weniger zur Geltung kommenden gesucht, die wohl dort gedeihen müsse — doch
Kunst kundtuend. vergeblich. Sie wandten sich schließlich ab, und
Doch wozu eine Dichtung in Musik setzen, zwar lediglich von der Natur selbst: statt in ihr
die imstande ist, für sich allein zu sprechen ? die ersehnte Blume zu suchen, gingen sie grade
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Ist es nicht lächer-
lich, aus Shakespeare-
schen Dramen Opern
zu fabrizieren? Als ob
man damit sa°;en woll-
o| te: „So wirkt es doch
p noch ganz anders, lie-
ber Shakespeare, im
«■? Gewände dieser Mu-
sik!" Auch der grüßte
und genialste Kompo-
nist wird nicht fähig
% sein, die Wirkung des
Goetheschen „Faust"
zu erhöhen, indem er
die Worte komponiert.
Im Gegenteil; schon
die Ausdehnung der
musikalischen Sprache
würde auf das Drama
S schädlich wirken, da
m die Musik kurze,
knappste Diktion ver-
langt, während in
|| Goethes Meisterwerk
ausführlich und eino-e-
m hend alles gesagt ist,
so daß der Musik zu
sagen nichts mehr
übrig bleibt.
Mag man nun über
das musikalische Dra-
ma, das eine Kunst-
^j^™ " form für sich ist, den-
^t^^^ßfr^ ken, wie man will,
mag man die Verqui-
ckung des Werkes mit
der Musik als berech-
tigtanerkennen, indem
KAPELLE AUF DEM FRIEDHOF DER BERLINER ST. PETRI-QEMEINDE. VORRAUM man die Sprache als
ARCHITEKT WALTER KOEPPEN . A , ^
eine Art I onrvtnmus
ansieht, aus dem die
unmöglich gemeint haben, wenn er in den Dienst musikalische Einkleidung logisch herauswächst,
der in Musik gesetzten Dichtung; auch die Malerei so o;eht man doch höchlichst in der Irre, wenn
stellen wollte, die ihm nur in weit vollendeterer man einer Verschmelzung der Ausdrucksmittel
Weise „Handlangerdienste" leisten sollte, als es von Musik und Malerei Vorschub leistet und diese
in Zeiten geschah, da die Dekorationen der Opern beiden Künste nicht vollkommen auseinanderhält,
wegen ihrer Primitivität der Lächerlichkeit anheim- Die Extreme berühren sich: Grade in einer
fielen. Die Oper — oder sagen wir: das musi- Zeit, in der der Naturalismus seine höchsten
kaiische Drama, ist, genau genommen — über- „Blüten" zeitigte, feierte ein Zurückgehen — nicht
haupt nichts vollkommen Selbständiges, etwa analog auf die Natur — aber auf die Malerei selbst —
dem Liede, da immer auf Kosten der einen Orgien: der sogenannte Praeraffaelismus. Die
Kunst die andere sich durchsetzen muß, dadurch Reaktion war gekommen, einige ganz Extreme
momentan deutlich den Mangel der Ausdrucks- hatten im Schmutz endlich nach der Blume
fähigkeit der weniger zur Geltung kommenden gesucht, die wohl dort gedeihen müsse — doch
Kunst kundtuend. vergeblich. Sie wandten sich schließlich ab, und
Doch wozu eine Dichtung in Musik setzen, zwar lediglich von der Natur selbst: statt in ihr
die imstande ist, für sich allein zu sprechen ? die ersehnte Blume zu suchen, gingen sie grade
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