DIE GRENZEN ZWISCHEN MALEREI UND MUSIK
auf die Kunst zurück, und zwar auf die der-
jenigen Meister, welche vor Raffael gelebt, auf
die also die Antike mit ihren Errungenschaften
aus dem Studium der Natur noch nicht gewirkt
hatte, die — bei zwar technischer Meisterschaft —
doch völlig naiv in einer stilisierten Welt lebten
und absichtlich das „Natürlichere" mehr oder
weniger mieden. Dabei schoß man nun wieder
übers Ziel hinaus, und die Zufälligkeiten der
Vorbilder, die vielleicht zum größten Teil in
einio-em Unvermögen ihrer Meister ihren Grund
hatten, wurden als etwas Besonderes gepriesen
und noch dazu nachgeahmt. So hatte sich ein
Stil entwickelt, der bei allen Vorzügen doch in
seiner Gezwungenheit der Natur zuwiderlief, darum
aber eben in gewissen Kreisen angebetet ward.
Des Plein-air's waren Viele ja auch schon wieder
überdrüssig, wiewohl dieses in seinem Zurückgehen
auf die Natur und dem Bestreben, das Licht zur
Geltuno- zu brino-en und die Atelierluft aus der
Landschaft zu entfernen, einen segensreichen
Umschwung, den größten des Jahrhunderts in
der bildenden Kunst, herbeiführte.
Nur wo die Natur den Ausgangspunkt des
Studiums bildet, kann das Ziel erreicht werden,
das die Grenzen der Ausdrucksfähigkeit nicht
überschieitet. Denn alles das, Präraffaelismus,
wie auch die gelegentlichen Farbenschwelgereien
der Jüngeren, ist weiter nichts, als ein Suchen
nach etwas Unmöglichen, nämlich der Erweiterung
der Ausdrucksfähigkeit der malerischen Mittel,
die aber in ihre Grenzen eingedämmt und nicht
zu überspringen ist. Man will Musik in der
Malerei und vergißt, daß solches Unterfangen
sinnlos ist. Was schließlich aber dabei heraus-
kommt, sehen wir an einer ganzen Reihe von
modernen Malern, die mit offenen Augen über
die Palette hinwegzuträumen scheinen ins musikali-
sche Reich, dort die Farbenakkorde „abzulauschen",
die man nie sehen kann; und daraus erwächst
dann eine heillose Vernachlässigung der Form!
Wo aber Form und Farbe aufhören, hat die
Malerei zu „schweigen" und muß einer anderen
Kunst überlassen, weiterzusprechen.
Daß wir trotzalledem hier und da beim Be-
trachten eines Kunstwerks die Empfindung haben
können, als hörten wir Musik, lehrt uns das Werk
Melchior Lechters, das, aus dem Geist der Mystik
geboren, uns gar oft in transzendente Sphären
führt; kraft seiner berückenden Farbensymphonien
läßt Lechter in uns musikverwandte Saiten er-
klingen, so im Empfänglichen das Gefühl des
gleichzeitigen Genusses zweier Künste erweckend.
Wer hätte beim Anblick seiner Glasmalereien noch
nicht unter diesem Eindruck gestanden? Das
Ineinandergreifen beider Künste ist freilich auch
hier nur ein scheinbares, ungewolltes, der Stil
bildete sich aus dem Wesen einer besonderen
Kunst heraus.
Wo hingegen eine Absicht vorliegt, veistimmt
sie nur zu leicht. In der Musik ist es nicht
anders. Nicht lange mehr wird es dauern, dann
haben wir das Gegenstück zum Präraffaelismus:
Man wird zurückgreifen auf die Vorgänger von
KAPELLE AUF DEM FRIEDHOF DLR
.51 PEJDlQEMEinDE.. FRIEDErl JTQ
M • A -.50.
RE.q:BAUME.I/TE.R A-D
KAPELLE AUF DEM FRIEDHOF DER BERLINER ST. PETRIGEMEINDE. GRUNDRISS. ARCHITEKT WALTER KOEPPEM
DIE KUNSTWELT II, 2 129
auf die Kunst zurück, und zwar auf die der-
jenigen Meister, welche vor Raffael gelebt, auf
die also die Antike mit ihren Errungenschaften
aus dem Studium der Natur noch nicht gewirkt
hatte, die — bei zwar technischer Meisterschaft —
doch völlig naiv in einer stilisierten Welt lebten
und absichtlich das „Natürlichere" mehr oder
weniger mieden. Dabei schoß man nun wieder
übers Ziel hinaus, und die Zufälligkeiten der
Vorbilder, die vielleicht zum größten Teil in
einio-em Unvermögen ihrer Meister ihren Grund
hatten, wurden als etwas Besonderes gepriesen
und noch dazu nachgeahmt. So hatte sich ein
Stil entwickelt, der bei allen Vorzügen doch in
seiner Gezwungenheit der Natur zuwiderlief, darum
aber eben in gewissen Kreisen angebetet ward.
Des Plein-air's waren Viele ja auch schon wieder
überdrüssig, wiewohl dieses in seinem Zurückgehen
auf die Natur und dem Bestreben, das Licht zur
Geltuno- zu brino-en und die Atelierluft aus der
Landschaft zu entfernen, einen segensreichen
Umschwung, den größten des Jahrhunderts in
der bildenden Kunst, herbeiführte.
Nur wo die Natur den Ausgangspunkt des
Studiums bildet, kann das Ziel erreicht werden,
das die Grenzen der Ausdrucksfähigkeit nicht
überschieitet. Denn alles das, Präraffaelismus,
wie auch die gelegentlichen Farbenschwelgereien
der Jüngeren, ist weiter nichts, als ein Suchen
nach etwas Unmöglichen, nämlich der Erweiterung
der Ausdrucksfähigkeit der malerischen Mittel,
die aber in ihre Grenzen eingedämmt und nicht
zu überspringen ist. Man will Musik in der
Malerei und vergißt, daß solches Unterfangen
sinnlos ist. Was schließlich aber dabei heraus-
kommt, sehen wir an einer ganzen Reihe von
modernen Malern, die mit offenen Augen über
die Palette hinwegzuträumen scheinen ins musikali-
sche Reich, dort die Farbenakkorde „abzulauschen",
die man nie sehen kann; und daraus erwächst
dann eine heillose Vernachlässigung der Form!
Wo aber Form und Farbe aufhören, hat die
Malerei zu „schweigen" und muß einer anderen
Kunst überlassen, weiterzusprechen.
Daß wir trotzalledem hier und da beim Be-
trachten eines Kunstwerks die Empfindung haben
können, als hörten wir Musik, lehrt uns das Werk
Melchior Lechters, das, aus dem Geist der Mystik
geboren, uns gar oft in transzendente Sphären
führt; kraft seiner berückenden Farbensymphonien
läßt Lechter in uns musikverwandte Saiten er-
klingen, so im Empfänglichen das Gefühl des
gleichzeitigen Genusses zweier Künste erweckend.
Wer hätte beim Anblick seiner Glasmalereien noch
nicht unter diesem Eindruck gestanden? Das
Ineinandergreifen beider Künste ist freilich auch
hier nur ein scheinbares, ungewolltes, der Stil
bildete sich aus dem Wesen einer besonderen
Kunst heraus.
Wo hingegen eine Absicht vorliegt, veistimmt
sie nur zu leicht. In der Musik ist es nicht
anders. Nicht lange mehr wird es dauern, dann
haben wir das Gegenstück zum Präraffaelismus:
Man wird zurückgreifen auf die Vorgänger von
KAPELLE AUF DEM FRIEDHOF DLR
.51 PEJDlQEMEinDE.. FRIEDErl JTQ
M • A -.50.
RE.q:BAUME.I/TE.R A-D
KAPELLE AUF DEM FRIEDHOF DER BERLINER ST. PETRIGEMEINDE. GRUNDRISS. ARCHITEKT WALTER KOEPPEM
DIE KUNSTWELT II, 2 129