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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Bauer, Kurt: Die deutsche Kunst in Rom
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0202

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DIE DEUTSCHE KUNST IN ROM

Studios von Otto Greiner, des besten deut-
schen Radierers im heutigen Rom. Dicht vor
uns die Ruinen des Colosseo, ringsherum die
Trümmer des alten Rom und die Cypressen des
Monte Coelio, der den Hintergrund bildete zu
einem der imposantesten Kunstwerke unsrer
Zeit, zu Klingers „Christus im Olymp". Dort
— hoch über den Überresten der alten Stadt

- mochte dem Meister die Gestalt des Erlösers
am Kreuze aufgetaucht sein, die er als erster
mit klassischer Würde in die Kunst unsrer Zeit
zu tragen wußte. Damals bereits während
Klinger sein bedeutendstes Werk schuf - ver-
breitete sich hinter dem Colosseum das moderne
Rom mit seiner Schar schlummernder Epigonen,
die selbstvergessen von gestern und vorgestern
träumen. Schlummert es sich doch nirgend
so gut wie unter dem Schatten der Großen,
zumal da, wo die ewig lockende Lust und Sonne
des Südens allzuleicht den Fuß des Schwächeren
zu hemmen vermögen.

Jeder nur mittelmäßige Künstler tut besser
daran, in der Heimat zu bleiben und sich dort
tätig einem bestimmten Kunstschaffen als nütz-
liches Glied einzufügen. Denn für jeden, der
nicht ganz fest auf eigenen Füßen steht, be-
steht die Gefahr, zu verflachen und sich zu ver-
lieren, nirgend so sehr als in Rom. Er findet
keinerlei Richtung und Halt in seiner nächsten
Umgebung für eine bestimmte Arbeitsmethode.
Jene weit zurückliegenden Traditionen, die den
deutschen Künstler hier einst so stark machten,
haben die heutigen Italiener geschwächt und
locken nun auch den jungen deutschen An-
kömmling immer tiefer in ihre gefährlichen
Netze, aus denen nur wenige den Weg zu sich
selbst zurückfinden. Diese Wenigen aber leben
abseits vom breiten Wege, ohne Schule zu
machen.

Zu der Klippe der Tradition gesellt sich
das verlockende Trugbild der Natur. Im ewig
milden Klima, unter einem fast stets heiteren
Himmel scheint hier von Schöpferhand die
ganze äußere Natur schon zum Kunstwerke ge-
steigert worden zu sein: unendlich reiche Farben-
spiele, ausgelöst von unendlich wechselnden
Linien und Bewegungen! Wohin wir blicken:
überall gewissermaßen fertige Bilder aller Art:
klassische Größe neben idyllischer Lieblichkeit,
robuste Kraft neben vollendeter Grazie. Und
alles das ist durch wundersame Übergänge zu
malerischen Gruppierungen gefügt, die un-
unterbrochen und leichtbeweglich wechseln, ohne
je von ihrer pittoresken Wirkung zu verlieren.
Die Versuchung ist groß, fortwährend nur hin-
zuschauen, sich träumend in den Rausch von
Farben und Bewegungen zu verlieren — ohne
dabei zu arbeiten. Noch größer ist die Ge-

fahr, das alles mit Stift und Pinsel als Farbiges
lediglich kopieren zu wollen, ohne es im Bilde
je erreichen zu können. Ich denke mir so die
Tantalusqual eines Künstlers, dem die schönsten
Dinge bereit hängen, die er doch nie erlangen
kann. Denn wo sollte er die Mittel hernehmen,
um das lichtüberflutete Campagna-Meer nach-
zubilden oder jenes ferne Lichtblau der Albaner-
und Sabinerberge, aus dem die kleinen Häuser
meilenweit wie Bergkrystalle herleuchten, oder
den römischen Abendhimmel, in dessen Glut
sich die ganze Farbenskala in allen Tonab-
stufungen mischt oder die rythmischen Linien
schönen Menschenkinder, das unermüdliche
Spiel der Mienen und Bewegungen dunkler
Gestalten, die bald hastig in wilder Kraft sich
anstraffen bald in träumend leichter Grazie
spielen? Vielleicht mochte der Schöpfer selbst
es aufgegeben haben, dies alles noch einmal an
einer anderen Siehe der Erde zu wiederholen!

Jedenfalls strauchelt der Künster - - auch der
deutsche — oft gerade angesichts dieser schein-
bar für den Maler eigens erschaffenen Natur.
Sei es, daß ihm hier zu viel selbständige Vor-
arbeit erspart wurde oder daß er sich an neben-
sächlichen äußeren Eindrücken auszugeben sucht:
jedenfalls haben wir bis in die neueste Zeit
hinein alljährlich auch auf dem deutschen Kunst-
markte jenes Übergewicht süßer, weichlicher
Landschafts- und Genrebilder mit italienischem
Milieu zu beklagen, das es in Wirklichkeit in
Italien garnicht gibt.

Wie überall so bleibt hier ebenfalls nur eine
Rettung. Die mühsamste Anstrengung zur
Resignation gegenüber der Überfülle der äußeren
Natur zur Vertiefung in sich selbst. Es be-
darf einer außergewöhnlichen Konzentrations-
fähigkeit, aus dem Reichtum der an sich so über-
reich malerischen Elemente diejenigen herauszu-
finden und von allen andern verlockenden Massen
loszulösen, die allein streng zur persönlichen
Eigenart eines Künstlers und seiner Ausdrucks-
möglichkeit gehören: eine Fähigkeit, die immer
und überall nur den ganz Großen eignete,
jenen wirklichen Künstlern, die sich von der
Sonne des Südens magisch angezogen fühlten
und gern auf der für sie wie speziell von der
Schöpferhand geschaffenen Erde weilten. - Sehn-
süchtig pilgerten sie nach Italien wie in ein
Elysium der Kunst, viele Ebenbürtige mit sich
und nach sich ziehend, deren Andenken wir
heute in wehmütiger Andacht unter melancho-
lischen Pinien und Cypressen feiern.

Unsere Aufgabe soll es aber hier nicht sein,
das Verlorene zu beklagen, sondern vielmehr
das Übriggebliebene dankbar zu genießen und
freudig alle neuen Keime zu begrüßen, die
wieder Vertrauen zu der Zukunft der deutschen

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