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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Westheim, Paul: Kunst- und Gesellschaftsordnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0248

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KUNST UND GESELLSCHAFTSORDNUNO

gerät vor dem, was gestern gelöst und vor- Maximilian betrat nicht ohne Respekt die
gestern erkannt wurde, schwingt er sich neben Werkstatt seines Gebetbuchmeisters, Cornelius
den Führer, der kraft seiner Führerbestimmung zügelte sein schroffes Selbstbewußtsein auch
politisch, wirtschaftlich oder geistig jenem Troß nicht gegenüber Ludwig II., sogar am Zollern-
das Gesetz der Zukunft diktiert. Der Künstler hofe wußte ein Menzel seine Haltung zu
dient ihm, indem er ihn umstrahlt mit der wahren. Natürlich gab und gibt es immer
Glorie seiner Schöpfertaten. Er macht, wie unter denen, die sich zur Kunst rechnen, servile
Michelangelo es mit dem Papsttum tat, seine Lakaiennaturen, die nach einem wohlwollenden
Größe sinnfällig vor den Augen der Welt; er Blick lungern wie der Spatz nach dem Brosam.
umrahmt ihn mit einer Kulisse, die dem großen Von Cranach angefangen, der als wohlbe-
Haufen Ehrerbietung abzwingt. Aber es hieße stallter Bürgermeister sich untertänigst seinem
die Stellung des Künstlers verkennen, wenn herzoglichen Herrn entgegenstreckte, bis zu man-
man in ihm nur einen Helfershelfer der Ge- chen betriebsamen Byzantinern, die zum Schaden
walthaber erblicken wollte. Holbein und van unseres Kunstlebens sich so breit machen
Dyck gingen an den englischen Hof wie dürfen. Aber was wollen derlei kleine Auf-
Männer, die ihren Wert höher als eine Lord- tragshascher bedeuten?! Die wirklich Großen
schaft einzuschätzen wußten, Rubens opferte fühlten sich doch, selbst wenn sie ihr Talent
auch neben seinem Herrscher kein Tipfelchen vor einen Siegeswagen spannten, als gleich-
seiner königlichen Grandezza, der Kaiser berechtigte Faktoren mit dem Willen, die Macht

auszunutzen zur eigenen Größe, zum
eigenen Ruhm. Für Michelangelo
war, wenn mans recht bedenkt, die
ganze Größe des Papsttums doch nur
das Organ, um sich und seine großen
Konzeptionen durchzusetzen, um seinen
Namen mit unauslöschbaren Lettern in
die Menschheitsgeschichte einzubrennen.
Und Goya, der seinen königlichen
Herrn als gefräßigen Dickwanst dar-
zustellen wagt? Er empfand das Mor-

^vtrfy _• r : sehe jener höfischen Welt und er

schwang sich auf Steigbügeln, die sie
ihm hielt, hinüber zu den neuen Macht-
habern, zu dem Volk, das sich zu er-
heben begann gegen die Lasterhaftig-
keit und Ausbeutung, gegen die Unter-

j \r S> drückung und Verdummung.

rS Mit diesem Goya hebt vielleicht die

Umwälzung an, die den Künstler zwang,
H sich auf die Seite des Volkes zu stellen.

Das Bürgertum erscheint ihm als der
neue Träger der Macht, nachdem es die
Vorherrschaft einer privilegierten Aristo-
kratie gebrochen. Bei ihm ist von

» , nun an der Fortschritt, ihm entwachsen

11 ■ I I i

die führenden Geister und die leiten-
den Ideen. Der Bürger beginnt, sich
M'f, alsMittelpunkt einer neuenGesellschafts-

- Ordnung zu betrachten, und die Kunst

^ folgt gleichsam unter dem Zwange einer

«f=* Gravitationsgesetzlichkeit in dem Maße,

~L ,______ . ^-77— wie sich hier die Kräfte verdichten.

Dieser Prozeß bedarf der Jahrzehnte,
vielleicht der Jahrhunderte. An-undab-
—" schwellende Strömungen laufen neben-

_v« . _. , .. einanderher, vermischen sich, um schließ-

lich doch im Sinne der Zukunft zu einer

franziskanerkirche in paderborn. handzeichnung , rr 1 u„;,J„„„ ,„ Un,,^

hans bernoulli endgültigen Entscheidung zu gelangen.

I

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