Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0293
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Haenel, Erich: Richard Müller-Loschwitz: Maler, Zeichner u. Radierer
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RICHARD MÜLLER-LOSCHWITZ
Schiebungen und Kreuzungen, an Schatten und
Halbschatten, Helligkeiten und Glanzlichtern in
dem betreffenden Stück Baumrinde oder Stein-
block oder Unterarm oder Wolkenballen sich
zusammengefunden und zu einem Bilde ver-
schmolzen ist — da fängt Richard Müllers
Arbeit in der Regel erst an. Man sehe sich
daraufhin einzelne seiner gezeichneten Studien
an, wie den merkwürdig bedeutend, halb wie ein
Ordinarius der Logik und halb wie ein Ober-
hofprediger ausschauenden „Sieland", einen
Greisenkopf von mächtigen Formen, die Spie-
lerei des Menschenweibes mit dem wider-
borstigen Hummer oder den mehrfach wieder-
holten liegenden Frauenakt. In dem alten
Hause der Akademie wird umgeräumt: zwischen
zwei riesigen Schränken findet man den Ka-
daver einer Katze, die hier einmal im allzutollen
Jagdeifer sich verirrt und, vielleicht betäubt oder
verletzt, unfähig den Ausweg zu finden, elend
verhungert ist. Richard Müller hängt sich das
hautüberspannte Gerippe des Unglücksviehs in
seinem Atelier auf und vertieft sich mit einer
Andacht in das groteske Linienspiel dieses un-
heimlichen Zeugen irdischer Vergänglichkeit, wie
ein ekstatischer Priester in die Worte des Evan-
HUHN. ZEICHNUNG RICHARD MÜLLER-LOSCHWITZ
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Schiebungen und Kreuzungen, an Schatten und
Halbschatten, Helligkeiten und Glanzlichtern in
dem betreffenden Stück Baumrinde oder Stein-
block oder Unterarm oder Wolkenballen sich
zusammengefunden und zu einem Bilde ver-
schmolzen ist — da fängt Richard Müllers
Arbeit in der Regel erst an. Man sehe sich
daraufhin einzelne seiner gezeichneten Studien
an, wie den merkwürdig bedeutend, halb wie ein
Ordinarius der Logik und halb wie ein Ober-
hofprediger ausschauenden „Sieland", einen
Greisenkopf von mächtigen Formen, die Spie-
lerei des Menschenweibes mit dem wider-
borstigen Hummer oder den mehrfach wieder-
holten liegenden Frauenakt. In dem alten
Hause der Akademie wird umgeräumt: zwischen
zwei riesigen Schränken findet man den Ka-
daver einer Katze, die hier einmal im allzutollen
Jagdeifer sich verirrt und, vielleicht betäubt oder
verletzt, unfähig den Ausweg zu finden, elend
verhungert ist. Richard Müller hängt sich das
hautüberspannte Gerippe des Unglücksviehs in
seinem Atelier auf und vertieft sich mit einer
Andacht in das groteske Linienspiel dieses un-
heimlichen Zeugen irdischer Vergänglichkeit, wie
ein ekstatischer Priester in die Worte des Evan-
HUHN. ZEICHNUNG RICHARD MÜLLER-LOSCHWITZ
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