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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Giesecke, Albert: Handzeichnungen venezianischer Meister des 18. Jahrhunderts im Berliner Kupferstichkabinett
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0329

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HANDZEICHNUNGEN VENEZIANISCHER MEISTER

schmückende Zutat sein, die
allerdings in der ganzen
Linienführung des Bildes un-
entbehrlich ist. Das Blatt
atmet so sehr die Lagunen-
stimmung, dieses Spiegeln
und Glitzern des träge da-
liegenden Wassers, daß selbst
eine poetische Schilderung
dieser Stimmung nicht mehr
geben kann.

Unter den Guardi zuge-
schriebenen Handzeichnungen
des Kupferstichkabinetts be-
findet sich auch die Rötel-
studie eines stehenden Mannes.
Linienführung, Unsicherheit in
der Anatomie (Pentimenti an
den Beinen des Mannes), die
Art der Schraffierung, die
Stellung der Figur lassen hier
deutlich die Hand des Pietro
Longhi (1702—1785) er-
kennen. Longhi war der Sitten-
malerder Republik, er stellte in
sehr peinlich und mühevoll
gemalten Bildern das gesell-
schaftliche Leben seiner Hei-
mat dar. Der auf unserer
Zeichnung Dargestellte, ein
Doktor, ist wohl ein Advokat,
einer von jenen gewandten,
schlagfertigen Männchen, von
denen uns Goethe in seiner
„Italienischen Reise" eine so
köstliche Skizze gegeben hat.

Um noch einmal auf Guardi
zurückzukommen, so möchten
wir von ihm sagen, daß er
auch noch neben Männern

skizze tipolo-schüle wie Turner, Whistler, Croß

und Signac und vielen anderen,
die in Venedig ihre Kunst

den oben erwähnten Platz von S. Giacomo di entwickelt und mit ihren Gemälden der
Rialto. Nicht immer ist auf Guardis Blättern zauberischen Lagunenstadt gehuldigt haben, be-
(wie Gemälden) die Architektur und ihr der- steht, ja daß er gewissermaßen als ihr Vor-
zeitiger Zustand so getreu abkonterfeit, wie auf läufer, wenn nicht gar ihr unerreichtes Vorbild,
diesem. Mitunter weicht er aus künstlerischen erscheint.

Gründen von dem Gegebenen ab oder schmückt Und in gleichem Sinne läßt sich auch von
es mit seinen Erfindungen. Ein solches ist die Tiepolo sagen, daß er, der dem Denken und
„Lagunenlandschaft", die vermutlich einen der Empfinden des 19. Jahrhunderts so fremd und
befestigten Häfen abbildet, die die Einfahrten unbegreiflich war, uns heute nicht allein be-
aus dem adriatischen Meer in die Lagune von greiflicher geworden, vor allem insofern er nur
Venedig sichern (vielleicht den Porto di Lido, Maler ist, sondern auch unserem Gefühl wieder
die Insel im Hintergrund S. Andrea?). Das näher gerückt wurde, während Canale, der ge-
Löwenmonument und derObelisk (dieses übrigens schmackvolle und getreue Schilderer der Wirk-
ein oft wiederkehrendes Requisit der Landschafts- lichkeit, dem verwilderten Geschmack von heute
maierei des 18. Jahrhunderts), dürften eine solche noch nicht wieder so recht zusagen will.

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