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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Lux, Joseph August: Kunst und Moral
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0465

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KUNST UND MORAL

Gegenteil ausschlägt, zumindest insoweit, als die staunen, daß die Sittlichkeitsfanatiker ihnen noch
Scheinkunst immer nur der parasitäie Gegensatz keine Hosen anziehen wollten,
der echten Kunst ist und in der Regel den Nun gibt es allerdings Fälle, die eine Lex
niedrigen Instinkten schmeichelt oder sentimental Hemze anscheinend rechtfertigen. Vor einigen
wird, indem sie sich moralisch gibt. Jahren ging ein Wiener Verleger, der erotische

Wenn die Moral gegen die Kunst aufsteht, ist Literatur pflegte, mit einer geheimen Ausgabe
immer erst genau zu unterscheiden, welcher Art von Beardsleys Werken auf Reisen; er hatte in
die Kunst ist, gegen die aufgestanden wird, und seine Mappe nur jene Zeichnungen aufgenommen,
wie die Moral beschaffen ist, die da aufsteht. die erotischen Beigeschmack hatten und stempelte
Um was sich's dreht, ist kurz gesagt: Das den Künstler zum Pornographen, was sicherlich
Nackte. Die Lex Heinze geht immer heimlich eine Sünde an dem Geist der feinen graphischen
herum und ist dafür bekannt, daß sie das Nackte Kunst dieses subtilen Engländers ist. Oder ein
zugleich für das Obscöne hält. Aber nur wenn Bilderhändler hängt schlechte Reproduktionen
sich's um Bilder handelt, gleichviel ob es wirk- der Venusbilder von Rubens oder Tizian
liehe Kunstwerke sind oder nicht. Bei der in süßlichem Farbendruck ins Schaufenster, um
Plastik ist man seltsamer Weise an das Nackte eine gewisse fatale Kundschaft anzulocken, die
so gewöhnt, daß auch die Prüden nichts mehr zwar das Nackte, aber nicht die Kunst sucht,
daran finden: deutsche Fürsten als römische Diese beiden Fälle haben mit Kunst nichts mehr
Imperatoren sitzen nackt zu Pferd auf öffent- zu tun; ein gesundes Moralempfinden leimt sich
liehen Plätzen, und es ist fast darüber zu zwar nicht gegen das Nackte, aber gegen die

Spekulation, die damit im Namen
der Kunst getrieben wird, auf, und
es ist nur zu wünschen, daß
solche Wechsler im Vorhof des
Tempels gehörig auf die Finger
geklopft werden. Was aber gegen
eine Lex Heinze, wie immer sie
auftreten mag, mißtrauisch macht,
ist ihre tötliche Sicherheit, mit
der sie das Kind mit dem Bad
verschüttet. Man erinnert sich an
den Skandal vor einigen Jahren
im Berliner Reichstagsgebäude, als
einis-e Puritaner in übertriebener
und altjüngferlicher Empfindsam-
keit g-eoen die Fresken eines
ernsten Künstlers Sturm liefern,
weil ein paar allegorische Figuren
der herkömmlichen fast konventio-
nellen Art nach in göttlicher
Nacktheit dargestellt waren. Und
ganz kürzlich konnte es einem
hervorragenden deutschen Künstler
in der Dresdner Kunstausstellung
passieren, daß sein Werk entfernt
wurde, weil es das Sittlichkeits-
gefühl' eines hohen Herrn ver-
letzt hatte.

Wenn es wahr ist, daß die Be-
rührung mit der Kunst unsterb-
lich macht, so trifft es auf die
Herren im Reichstag und andere
Knnstmoralisten zu — sie haben
sich unsterblich lächerlich gemacht.
Ohne ihnen nahe treten zu
wollen — diese Herren sind
alle zu sehr lebenserfahren, um
WEINGEISTER. SILHOUETTE HEINRICH WOLFF-KÖNIGSBERG Pr. mcrit an stärkere Dinge gewöhnt

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