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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Behl, Carl F. W.: Die Dichtung und die bildende Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0831

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DIE DICHTUNO UND DIE BILDENDE KUNST

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darum vielspältigsten unter den Künsten, der
Schiller einst die stolzen Worte in den Mund
legte:

„Mich hält kein Band, mich fesselt keine Schranke,
Frei schwing' ich mich durch alle Räume fort.
Mein unermeßlich' Reich ist der Gedanke,
Und mein geflügelt Werkzeug ist das Wort.
Was sich bewegt im Himmel und auf Erden,
Was die Natur tief im Verborgnen schafft,
Muß mir entschleiert und entsiegelt werden,
Denn nichts beschränkt die freie Dichterkraft."

Auch Lessing schon erkannte die „weitere
Sphäre der Poesie", deren Reich „das unend-
liche Feld unserer Einbildungskraft" ist. Das
ist ihr Wesenszug, daß sie nicht gebunden ist
an einen Sinn wie die Musik und die bildende
Kunst; sie ist ausgezeichnet durch die „Geistig-
keit ihrer Bilder, die in größter Menge und
Mannigfaltigkeit nebeneinanderstehen können,
ohne daß eines das andere deckt oder schändet."
Zugleich aber werden ihr auch jene Sinne dienst-
bar, die der Musik und der bildenden Kunst
eigentümlich sind. Die Dichtkunst grenzt in
der Lyrik sehr nahe an die Musik, während
das Drama in seinen Ausdrucksmitteln eng mit
der bildenden Kunst verknüpft ist. Den Über-
gang bezeichnet jene seltsame Zwischenform,
die Pantomime. Ein Spiel mit Begriffen wäre
es allerdings, wenn man, zwischen bewegungs-

THEODOR WENDE-DARMSTADT

loser und bewegter bildender Kunst unter-
scheidend, die Pantomime der letzteren zu-
rechnen wollte, was wohl von etikettierungs-
süchtigen Theoretikern schon unternommen
worden ist.

Beim Dramatiker also, der durch Handlungen
und Worte unmittelbar sinnlich zu wirken be-
strebt und daher auch auf Körper in Bewegung
zur Vermittlung seiner Kunst angewiesen ist,
wird sich am sichersten der Zusammenhang
zwischen Dichtung und bildender Kunst auf-
weisen lassen. Dabei darf man indessen nie
außer Acht lassen, daß der letzte Zweck beider
Künste ganz verschieden ist, daß die bildende
Kunst ihr höchstes Ziel in der Form sucht,
die Dichtung dagegen zunächst Gedanken
vermitteln will.

Wir haben in unserer Zeit ein unvergleich-
liches Beispiel für die innere Verwandtheit der
beiden Künste in unserm größten lebenden
Dramatiker, Gerhart Hauptmann, der noch als
Fünfundzwanzigjähriger zwischen der Bildhauerei
und der Dichtkunst geschwankt hat, den viele
Jahre hindurch „die Frau mit Stein und Meißel"
und „die Frau mit Kranz und Leier" gleicher-
weise verlockten. Hauptmann dichtete damals,
wie Paul Schienther zu berichten weiß, ein
wundersames symbolistisches „Märchen vom
Steinbild", einer Marmorjungfrau, die ein Men-
schenwille zu beleben sich sehnt. In diesem

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