Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 34.1991

DOI issue:
Nr. 2
DOI article:
Aktuelle Themen
DOI article:
Maier, Friedrich: Stellungnahme des Deutschen Altphilologenverbandes zur Schulzeitverkürzung
DOI article:
Fuhrmann, Manfred: Marx müßte umschulen
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.35875#0041

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
europäischen Kultur von Bildungstheoretikern begriffen und in ihren Planungen für eine innere
Neuausrichtung der Schulen berücksichtigt wird, Befürchtungen, daß im Zuge der Kürzung des
Gymnasiums und der Betonung der modernen Fremdsprachen der Raum für den altsprachlichen
Unterricht entscheidend eingeengt wird. Der Verband sieht sich hier vor eine neue Herausforde-
rung gestellt, die zu einer neuen, überzeugenden Konzeption des altsprachlichen Unterrichts auf
dem Wege ins dritte Jahrtausend führen muß.
FmEDRicH MAIER, München

Marx müßte umschuten*
Die Alten Sprachen haben es schwer in Ostdeutschland
Marx und Engels, überhaupt die „Klassiker" des Kommunismus, hielten viel von den klassischen
Sprachen: Sie hatten sie in der Schule gründlich gelernt und beschäftigten sich auch später noch,
während des Studiums und in ihren Schriften, gern mit altertumswissenschaftlichen Gegenstän-
den, wie denn etwa die Jenenser Dissertation von Marx einem subtilen Problem der antiken Phi-
losophiegeschichte gilt, der „Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphiloso-
phie".^ In ihrem Denken war die Antike noch ein unentbehrlicher Bestandteil der Welt, in der
sie lebten, und so bekannte Engels: „Ohne die Grundlage des Griechentums und des Römerrei-
ches kein modernes Europa, ohne antike Sklaverei kein moderner Sozialismus."
Die Altphilologen östlich der Elbe wußten davon, und als nach 1945 der große Umbau im dorti-
gen Schulwesen begann, durchforschten sie Marx, Engels, Lenin und andere nach passenden Ar-
gumenten, um so viel wie möglich von der humanistischen Bildungstradition in das neue System
hinüberzuretten. Zunächst, während der fünfziger Jahre, waren derartige Bemühungen offenbar
nicht gänzlich hoffnungslos. Zwar mußten sich die alten Sprachen — wie alle Sprachen außer
Russisch — mit den vier letzten Jahren, den Klassen 9 bis 12 begnügen, auf die das einstige Gym-
nasium zusammengeschrumpft war.^ Innerhalb dieses Rahmens aber schien es, wie engagierte
Fachvertreter glaubten, durchaus Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, und so propagierte Wil-
helm Hartke, damals wohl der prominenteste von ihnen, ein griechisch-römisches Gymnasium,
das sogar ein Konzept verwirklichen sollte, das Wilhelm von Humboldt hatte aufgeben müssen:
die Bevorzugung des Griechischen als der wahrhaft erzieherischen Sprache vor dem Lateini-
schen. Noch im Jahre 1963 dachte man offiziell über die Möglichkeit einer sechsklassigen alt-
sprachlichen Spezialschule nach, obwohl die Sechsklassigkeit dem Prinzip der damaligen acht-
klassigen „demokratischen Einheitsschule" (zunächst „Grund-", später „Oberschule" genannt)
zuwiderlief.
Diese Anstrengungen gingen unter im Schwall fortschreitender Vereinheitlichung: Das „Gesetz
über das einheitliche sozialistische Bildungssystem" vom 25. Februar 1965 reduzierte die vier
weiterführenden Klassen auf eine zweijährige „Abiturstufe". Das war das Ende einer hinlänglich
fundierten und verbreiteten Bekanntschaft mit den Grundlagen unserer Kultur; nunmehr stand
fest, daß Marx nicht befolgt werden sollte.
Zwei kümmerliche Restformen blieben bestehen. Zum einen fand fakultativer Lateinunterricht
statt, je drei Wochenstunden in den beiden Klassen der Abiturstufe: Wer ihn besuchen wollte
oder konnte, lernte allenfalls ein paar hundert Vokabeln und brauchte nicht einmal Flexionssche-
mata wie amo, amas oder rosa, rosae sicher zu beherrschen.
Zum anderen gab es „Spezialklassen mit verstärktem Altsprachenunterricht", wie die offizielle
Formel lautete: Latein von der 9. Klasse an (also insgesamt vier Jahre), und in den Klassen 11 und

35
 
Annotationen