Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Weber, Ines [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0098

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
II. Der Konsens der Vertragspartner als Voraussetzung zu Eheschließung und Trennung 83

4. Der consdnshs als Verwandtenkonsens

a) Die Zustimmung aller Parteien
Kommen wir zu den Ausgangstragen und damit zur inhaltlichen Bestimmung des
cowscMSMS-Begriffs zurück. Auts Ganze gesehen hat sich gezeigt, dass die frühmit-
telalterlichen Texte weder ein streng auf patriarchalen Strukturen beruhendes Kon-
sensprinzip auf greifen noch allein den Konsens der Partner betonen. Vielmehr be-
rücksichtigen die Texte die sozialen und damit familiären Gegebenheiten der
frühmittelalterlichen Lebenswelt, innerhalb derer die arrangierte Ehe mehr der Si-
cherheit und Wohlfahrt der nachfolgenden Generationen als der Einschränkung
bzw. Verletzung der persönlichen Freiheitsrechte des Einzelnen dient. Indem sie die
traditionellen Vorgaben keineswegs unreflektiert übernehmen, versuchen sie, die
Zusammenhänge aufzubrechen bis hin zu der Forderung, »daß das geltende Recht
auf alle Menschen gleichmäßig angewendet werden soll« und »die Menschen als
Gleichberechtigte zu behandeln«"' sind. Die differenzierten und zum Teil ambiva-
lenten Weisungen führen zu Modifikationen, die zwar nicht die alleinige Betonung
des Konsenses der Partner zur Folge haben, ihn aber insofern berücksichtigen, als
sie sich weitestgehend vom christlichen Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter
leiten lassen, was nicht zuletzt auch eine Gleichbehandlung in der Unverfügbarkeit
des freien Willens bedeuten kann. Insoweit kann Andrea Esmyol nur bedingt zuge-
stimmt werden, wenn sie davon ausgeht, dass die frühmittelalterliche Kirche die
»traditionellen Muntverhältnisse« gestützt und die Minderstellung der Frau weiter
gefördert hat. ^ Schließlich haben gerade die Bestimmungen des langobardischen
Rechts gezeigt, dass die Schutzgewalt über Frauen nicht nur Repressalie, sondern
vor allem Schutz bedeutet. ^ Die These aber, dass sich die Kirche nicht für eine Rea-
lisierung der Konsensehe eingesetzt, sondern im Gegenteil die patriarchalen Ver-
hältnisse einschließlich der Geschlechtsvormundschaft über die Frau nur gestärkt
habe, kann nicht bestätigt werdend Selbst der auf den ersten Blick restriktiven Ge-
setzgebung der eher heterogenen Quellengattung der Leges fehlt es in dieser Hin-
sicht keineswegs an Konsistenz. Beide Aspekte - Konsens und Schutzgewalt - gilt
es weiter zu verfolgen, um zu zeigen, dass derartige Bestimmungen vornehmlich
der frühmittelalterlichen Lebens- und Denkweise Rechnung tragen und nicht die
männliche Vorherrschaft stärken wollen.
So bleibt am Ende also nur, die eingangs gestellte Frage zu reformulieren. Der
COMSCMSMS, von dem in den frühmittelalterlichen Texten die Rede ist, ist nicht ein
Personenkonsens im heutigen Sinne, der als eine freie und subjektive Entscheidung

196 ERLER, Gleichheit, Sp. 1702.
197 EsMYOL, Geliebte, S. 225.
198 »Die Vielfalt des Begriffs Munt umfaßt nicht nur Bürde für die Frau, sondern auch die Schutz-
verpflichtung für den Muntwalt« (PoHL-RESL, Rechtsfähigkeit und Landbesitz, S. 226); ähnlich
vgl. KRÄH, Gleichstellung, S. 13.
199 Insoweit muss Andrea Esmyol widersprochen werden, die davon ausgeht, dass »die Forderung
[nach] einer >Konsensehe< [...] nicht erkennbar« ist (EsMYOL, Geliebte, S. 213).
 
Annotationen