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Die Bußmaße für die ehelichen Vergehen
ses gilt es auszugleichen, um nicht den Zorn Gottes bzw. der »Sakralmächte«^ aut
sich zu ziehen,^ der sich »in äußeren Katastrophen wie Unwetter, Blitz, Mißernten
und Tod, aber auch in Befleckung, Krankheit und Unfrieden«^ manifestiert. Die
Weltenwaage, die durch menschliche Vergehen aus dem Gleichgewicht geraten ist,
muss durch eine entsprechende Wiedergutmachungsleistung zum Ausgleich ge-
bracht werden. Anders gesagt: »Es entspricht dem Verursacherprinzip, einen ent-
standenen Schaden in einem Entsprechungsverhältnis wiedergutzumachen oder
den dadurch eingetretenen Zustand rückgängig zu machen.«^ Für das frühmittel-
alterliche Verständnis trifft dann in besonderem Maße zu, was sich systematisch-
theologisch auf den Sühnebegriff der westlichen Theologie insgesamt gewendet als
richtig erweist: Dieser »ist maßgeblich bestimmt durch das Aquivalenzdenken der
Vergeltungsgerechtigkeit und durch die Vorstellung, Gott sei der Garant einer Ord-
nung, in der jede Schuld durch eine entsprechende Leistung zu sühnen sei.<U
b) Tat- oder Intentionshaftung? - Medizin oder Strafe?
Sowohl die Herausstellung der Tarifierung als auch das von der Alten Kirche ab-
weichende und damit neuartige Bußverfahren erhalten in der Forschung breite Zu-
stimmung.^ Inwieweit diesem System aber ein Bußverständnis zugrunde liegt, des-
sen Bußstrafe vornehmlich medizineilen oder vindikativen Charakter hat, ist
umstritten. Der von verschiedenen Mediävisten, u. a. von Arnold Angenendt identi-
fizierte vindikative Charakter der Buße, der sich im Frühmittelalter durchsetzt,
trägt dem eben beschriebenen Verständnis von Sünde und Ausgleich Rechnung.
Hubertus Lutterbach, der diesen Ansatz aufgegriffen hat, fasst prägnant zusam-
men: »Dieses weniger auf die Besserung des Sünders als auf die möglichst schnelle
Wiedergutmachung der Tat abzielende Bußverständnis [...] wurzelt in der vielen
einfachen Kulturen eigenen Vorstellung vom kosmischen Gleichgewicht, welches
durch jede noch so kleine Sünde aus dem Lot gebracht wird und nur durch eine
dem Schaden exakt entsprechende Ausgleichsleistung wieder auszutarieren ist«/''
Nicht jenes System setzt sich fort, das über Bußen verfügt, die »wie eine sorgfältig
ausgewählte Arznei die Wurzel der Sünde im Herzen auslöschen« ' sollen, sondern
es etabliert sich eine Ordnung, die über Bußmaße verfügt, die dem »Rechtsbruch
als ein äußeres Ereignis« ^ Rechnung tragen. Je nach Schwere der Sünde wird eine
tarifierte Buße verhängt. »Konsequent und in Spannung zur Alten Kirche konnten
unter die Bußpflicht nunmehr auch Tatbestände fallen, die sich jeder Intentionalität
entziehen« V
70 ANGENENDT, Religiosität, S. 614.
71 Vgl. BÜRKLE, Sühne, Sp. 1097.
72 ANGENENDT, Religiosität, S. 614.
73 BÜRKLE, Sühne, Sp. 1097.
74 MENKE, Sühne, Sp. 1102.
75 Vgl. LuTTERBAcn, Intentions- oder Tathaftung, S. 120.
76 LuTTERBAcn, Sexualität, S. 13.
77 Ebd.,S. 12.
78 HATTENHAUER, Rechtsgeschichte, S. 44.
79 LuTTERBAcn, Sexualität, S. 13; vgl. auch DERS., Fastenbuße; vgl. VOGEL, Composition legale.
Die Bußmaße für die ehelichen Vergehen
ses gilt es auszugleichen, um nicht den Zorn Gottes bzw. der »Sakralmächte«^ aut
sich zu ziehen,^ der sich »in äußeren Katastrophen wie Unwetter, Blitz, Mißernten
und Tod, aber auch in Befleckung, Krankheit und Unfrieden«^ manifestiert. Die
Weltenwaage, die durch menschliche Vergehen aus dem Gleichgewicht geraten ist,
muss durch eine entsprechende Wiedergutmachungsleistung zum Ausgleich ge-
bracht werden. Anders gesagt: »Es entspricht dem Verursacherprinzip, einen ent-
standenen Schaden in einem Entsprechungsverhältnis wiedergutzumachen oder
den dadurch eingetretenen Zustand rückgängig zu machen.«^ Für das frühmittel-
alterliche Verständnis trifft dann in besonderem Maße zu, was sich systematisch-
theologisch auf den Sühnebegriff der westlichen Theologie insgesamt gewendet als
richtig erweist: Dieser »ist maßgeblich bestimmt durch das Aquivalenzdenken der
Vergeltungsgerechtigkeit und durch die Vorstellung, Gott sei der Garant einer Ord-
nung, in der jede Schuld durch eine entsprechende Leistung zu sühnen sei.<U
b) Tat- oder Intentionshaftung? - Medizin oder Strafe?
Sowohl die Herausstellung der Tarifierung als auch das von der Alten Kirche ab-
weichende und damit neuartige Bußverfahren erhalten in der Forschung breite Zu-
stimmung.^ Inwieweit diesem System aber ein Bußverständnis zugrunde liegt, des-
sen Bußstrafe vornehmlich medizineilen oder vindikativen Charakter hat, ist
umstritten. Der von verschiedenen Mediävisten, u. a. von Arnold Angenendt identi-
fizierte vindikative Charakter der Buße, der sich im Frühmittelalter durchsetzt,
trägt dem eben beschriebenen Verständnis von Sünde und Ausgleich Rechnung.
Hubertus Lutterbach, der diesen Ansatz aufgegriffen hat, fasst prägnant zusam-
men: »Dieses weniger auf die Besserung des Sünders als auf die möglichst schnelle
Wiedergutmachung der Tat abzielende Bußverständnis [...] wurzelt in der vielen
einfachen Kulturen eigenen Vorstellung vom kosmischen Gleichgewicht, welches
durch jede noch so kleine Sünde aus dem Lot gebracht wird und nur durch eine
dem Schaden exakt entsprechende Ausgleichsleistung wieder auszutarieren ist«/''
Nicht jenes System setzt sich fort, das über Bußen verfügt, die »wie eine sorgfältig
ausgewählte Arznei die Wurzel der Sünde im Herzen auslöschen« ' sollen, sondern
es etabliert sich eine Ordnung, die über Bußmaße verfügt, die dem »Rechtsbruch
als ein äußeres Ereignis« ^ Rechnung tragen. Je nach Schwere der Sünde wird eine
tarifierte Buße verhängt. »Konsequent und in Spannung zur Alten Kirche konnten
unter die Bußpflicht nunmehr auch Tatbestände fallen, die sich jeder Intentionalität
entziehen« V
70 ANGENENDT, Religiosität, S. 614.
71 Vgl. BÜRKLE, Sühne, Sp. 1097.
72 ANGENENDT, Religiosität, S. 614.
73 BÜRKLE, Sühne, Sp. 1097.
74 MENKE, Sühne, Sp. 1102.
75 Vgl. LuTTERBAcn, Intentions- oder Tathaftung, S. 120.
76 LuTTERBAcn, Sexualität, S. 13.
77 Ebd.,S. 12.
78 HATTENHAUER, Rechtsgeschichte, S. 44.
79 LuTTERBAcn, Sexualität, S. 13; vgl. auch DERS., Fastenbuße; vgl. VOGEL, Composition legale.