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Weber, Ines [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0360

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XI. Das frühmittelalterliche Bußsystem als Forschungsproblem

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Für Arnold Angenendt vollzieht sich an dieser Stelle »[d]ie wohl tiefste Wand-
lung der abendländischen Bußpraxis«^, weil im frühen Mittelalter für jeden Fehl-
tritt ein exakt austariertes Bußäquivalent gesucht und »die volle Aufwägung eines
jeden Vergehens verlangt wird«.'*' Er sieht die Beurteilungskriterien vornehmlich in
dem äußerlich vorhandenen Tatbestand; dieser allein könne mit festgeschriebenen
Bußmaßen gesühnt werden.^ Nicht als Medizin - wie in der Alten Kirche - soll die
Buße den Sünder zur inneren Besserung bewegen, sondern vindikativ-strafend auf
die Wiedergutmachung des kosmischen Gleichgewichts hinwirken. Raymund
Kottje hingegen sieht mit Bernhard Poschmann die Tradition des altkirchlichen
Bußverständnisses fortgesetzt. Weil die Bußbücher nach wie vor die Beweggründe,
den Stand des Sünders (»arm oder reich, alt oder jung, männlich oder weiblich«^)
und die Umstände, die zur Tat führen, bedenken, wollen sie offenbar »die objekti-
ven und subjektiven Unterschiede von Vergehen«^ berücksichtigen. »Diuersitas
culparum diuersiatatem facit paenitentiarum« - die Verschiedenheit der Schuld
macht auch die Verschiedenheit der Strafe -, diese Aussage »sollte den Bischof oder
den Priester leiten, wenn er Art und Umfang der Buße bestimmte (Fasten, Gebete,
sexuelle Enthaltung in der Ehe, Geld- oder Sachleistungen, zeitlich begrenztes oder
lebenslanges Exil).«"'
Wo Arnold Angenendt den Maßstab der Haftung mehr an die Tat anlegt und
die Intention eher in den Hintergrund gedrängt sieht/'' geht Raimund Kottje den
Umständen des Vergehens nach und stellt die Motive des Sünders daneben.^ Damit
scheinen die beiden Mediävisten grundsätzlich unterschiedliche Akzente bei ihren
Einschätzungen des frühmittelalterlichen Bußsystems zu setzen. Dass es sich je-
doch keineswegs um Marginalien handelt, liegt auf der Hand. Letztlich dürfte der
Kern der Auseinandersetzung im Sünden- und Bußverständnis an sich begründet
liegen.

c) Dualisierende Welt oder Nebeneinander verschiedener Sinnsysteme?
Gerade weil das der Buße »zugrundeliegende Selbstverständnis unterschiedlich
eingeschätzt wird«, »die Rolle der Intentions- und Tathaftung [...] bislang nirgends
einer eingehenden Analyse unterzogen worden ist« und »die Suche nach Kriterien
zur Beantwortung der diskutierten Frage« erst anfänglich geschehen ist/' ist neuer-
dings aus zwei unterschiedlichen Richtungen daran weiter gearbeitet worden. Hu-
bertus Lutterbach und Bernhard Jussen haben sich diesem von der Forschung bis-
lang wenig berücksichtigten Gegenstand auf je eigene Weise zugewandt.

80 ANGENENDT, Religiosität, S. 630; ähnlich vgl. DERS., Theologie, S. 134.
81 Ebd.
82 Vgl. ebd., S. 135-138; vgl. DERS., Frühmittelalter, S. 210-212.
83 KoTTjE, Paenitentialia minora, S. VII.
84 DERS., Bußbücher, Sp. 1118.
85 DERS., Paenitentialia minora, S. VII.
86 Vgl. ANGENENDT, Religiosität, S. 634-636; vgl. DERS., Frühmittelalter, S. 210-212; vgl. DERS.,
Theologie, S. 135-138.
87 Vgl. KoTTjE, Bußbücher, Sp. 1118.
88 LuTTERBAcn, Intentions- oder Tathaftung, S. 122.
 
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