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Weber, Ines [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ein Gesetz für Männer und Frauen: die frühmittelalterliche Ehe zwischen Religion, Gesellschaft und Kultur — Mittelalter-Forschungen, Band 24,1: Ostfildern, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.34905#0361

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346

Die Bußmaße für die ehelichen Vergehen

Ausgehend vom Strafkatalog der frühmittelalterlichen Bußbücher rekonstru-
iert Hubertus Lutterbach durch ein Rückschlussverfahren einige Charakteristika
ihres Sündenverständnisses und leistet verschiedene Systematisierungen. Er kann
in ein und derselben Textgattung den Beichtvater und das Bußbuch selbst als rncdz-
CMS beschrieben und gleichzeitig ein vindikatives Bußverständnis fortgesetzt sehen.
Das »Wesentliche einer jeden Sünde« ist für ihn nicht im »bewußten Verstoß gegen
die für alle Christen verbindliche Lebensordnung« oder »die christliche Ethik« zu
suchen, »sondern vielmehr darin, daß jedweder Verstoß eine kultische Verunreini-
gung mit sich bringt, die ohne die entsprechende Reinigung auch eine Gefahr für
das Gemeinwesen heraufbeschwört.«^ Hubertus Lutterbach resümiert, »daß die
Bußbücher das Reinigungsfasten aus der biblisch-altkirchlichen Trias der Bußwerke
weitgehend herauslösen und es in der Konsequenz offenbar kaum noch im traditio-
nellen Sinne als vornehmlich ethischen Ausdruck der Gottes- und Nächstenliebe
verstehen«.^" Demnach tritt auch für ihn das ethische Sündenverständnis hinter ein
kultisches zurück und die Strafe wirkt nicht länger medizineil, sondern vindikativ.
Bernhard Jussen geht das Problem grundsätzlich anders an, indem er fragt:
Trägt nicht gerade das »ideen- und theologiegeschichtliche Vor wissen über Ver-
dienstdenken/Tathaftung/Tarifbuße«A bereits die Erklärung an die Texte zur
frühmittelalterlichen Bußkultur heran, die diese selbst nur bedingt spiegeln? Ver-
stellt es nicht den Blick darauf, dass sowohl Texte existieren, welche die »Tathaf-
tungslogik der Frömmigkeitspraktiken« durchaus tragen, als auch solche, die das
»Gegenmodell« zur Sprache bringen?^ Über »[sjemantische Figurationen« und mit
einem »semantischen Blick« prüft er die Umgebung von Worten, erschließt so ihre
Bedeutungen und zieht von hierher Rückschlüsse auf das Verhältnis von Schuld
und SühneV Am Ende kommt er zu grundsätzlich anderen Ergebnissen als Huber-
tus Lutterbach. Er nämlich plädiert für ein »dauerhaftes Nebeneinander entgegen-
gesetzter, inkompatibler, zentraler Sinnfiguren«, die sich aus der Alten Kirche bis
ins Frühmittelalter hinein transportiert haben. Auch er konstatiert, »die früh-
mittelalterliche Theologie wiederhole >nur<«, jedoch mit der Konsequenz einer
»erstaunliche[n] Stabilisierungsleistung«V Ihm zufolge insistieren die frühmittelal-
terlichen Theologen in bestimmten Zusammenhängen nach wie vor »auf die unver-
zichtbare Bedeutung der Intention«, die jedoch keinerlei Gehör mehr bei den Gläu-
bigen zu finden scheint, weil sich die »religiöse Praxis verändert hat«. Warum das
so ist, warum ein ständiges Wiederholen das »Handeln der Gläubigen nicht mehr
gesteuert hat«, das zu klären ist Aufgabe künftiger mediävistischer Forschung.^
Bernhard Jussen selbst stellt jedoch die Frage, die sich nahelegt, weil beide Vertreter
methodisch völlig unterschiedlich vorgehen: Präjudiziert vielleicht auch seine me-
thodische Herangehensweise die Ergebnisse?

89 DERS., Fastenbuße, S. 437.
90 Ebd.
91 JussEN, Theologie, S. 106.
92 Ebd., S. 107.
93 Ebd., S. 97.
94 Ebd., S. 107.
95 Ebd., S. 108.
 
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