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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0025

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I. Einordnung und Auszeichnung:
Spielräume mittelalterlicher Kleiderwahl

Swer sich selbst erkennen kann
ze recht, derst ein wise man
Freidank, Bescheidenheit 106,8f.

1. Das Selbst und seine Hüllen

a) Die Autorität der Äußerlichkeiten
Als sich die Schleier des Wahnsinns und Vergessens hoben und der Artusritter
Iwein nackt und verwundet auf einer Waldlichtung erwachte, hatte er mehr verlo-
ren als Waffen, Pferd und höfischen Schmuck. Verwirrung ergriff den tapferen
Mann beim Anblick seines Versehrten und schmutzstarrenden Körpers, ja er
schlitterte modern gesprochen geradewegs in eine Identitätskrise: »Bist Du es
Iwein oder wer?«1, fragte er sich selbst. Bruchstückhaft nur vermochte der Held
Fetzen seiner verschütteten Erinnerung einzufangen, die ihm ein vH harte richez
leben2 verhießen. Sein adeliges Selbstgefühl entfaltet sich an gefangen bei seinen
körperlichen Vorzügen von Jugend und Schönheit in konzentrischen Kreisen über
seine inkorporierten ritterlich-höfischen Kompetenzen bis hin zu seiner feudalen
Existenzgrundlage und sozialen Einordnung als Artusritter. Schließlich gelangt
Iwein gar bis an die Schwelle einer retroperspektivischen Rekonstruktion seines
bisherigen Lebensweges. Doch zugleich beginnen dem Erwachenden die schemen-
haften Gedächtnisfragmente wie Traumfetzen zu verschwimmen. »Habe ich mein
Leben nur geträumt?«3 Denn von Beginn an gebricht es dem Torso schemenhafter
Reminiszenzen an äußerer Evidenz: Als einziger Referenzpunkt autobiographi-
scher Selbstverortung steht dem Helden sein nackter, ungepflegter Körper zu Ver-
fügung, der letztlich nur einen Schluß zuläßt: Ein gebüre müsse er sein!4 Die Imagi-
nation eines glanzvollen Lebens bei Hofe scheint mit einem mal ein fernes Trugbild.
Iweins Selbstimplikation in die Sphäre ritterlich-höfischer Lebensform scheint
vor der Autorität des äußeren Scheins zu verblassen: dazn ist allez niht wär. Doch
1 Hartmann von Aue, Iwein, Bd. 1: Textausgabe, hrsg. von Georg F. Benecke/Karl Lachmann/
Ludwig Wolff, Berlin/New York 71968, v. 3509: bistûz Iwein, ode wer? Vgl. dazu Hahn, giiete und
wizzen; Ragotzky/Weinmeyer, Höfischer Roman; Sosna, Fiktionale Identität; Müller, Identitäts-
krisen; Jan Keupp, Macht und Reiz der Mode - Kleidung in staufischer Zeit, in: Alltagsleben im
Mittelalter, hrsg. von der Gesellschaft für staufische Geschichte e. V. (Schriften zur staufischen
Geschichte und Kunst 25), Göppingen 2005, S. 85-104, S. 85f.
2 Iwein v. 3513L: wand mir hat min trotini gegeben / ein vii harte richez leben.
3 Ebd. v. 3576: ist mir getroumet min leben?
4 Ebd. v. 3556L: zewäre doch versihe ich mich, / swie rüch ich ein gebüre sì.
 
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