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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0193

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2. Die Spielregeln der Identität

193

geifern.«181 Triumphierend vermeldet Boso den Erfolg der sozialen Stigmatisierung
des Papstprätendenten. Die zeichenhaft dargebotene Auslöschung der päpstlichen
Identität hatte nach seinem Dafürhalten ihren Empfängerkreis erreicht, sei doch
der Schismatiker selbst über das Ausmaß seiner Entehrung errötet und habe mit
dieser Geste der schuldbewußten Resignation zugleich allen Übrigen »ein Beispiel
gegeben, derartiges niemals wieder zu versuchen«182.
Allerdings markierte der Kamelritt des Burdinus weniger das Ende schismati-
scher Kämpfe um den Stuhl Petri. Er führte vielmehr zum Verschwinden vergleich-
bar drastischer Inszenierungsmittel aus dem Symbolbestand des amtskirchlichen
Zeremoniells. Bereits zeitgenössisch regten sich Stimmen, die eine derart obszöne
Prozedur unumwunden als »unwürdig« oder »überaus schändlich« ablehnten183. Ihre
Einlassungen machen deutlich, daß stets ein Teil der inszenierten Wirklichkeit auf
ihren Initiator zurückfiel, der apostolische Stuhl selbst folglich durch die Verspot-
tung eines seiner Prätendenten Schaden nehmen mußte. Wie Klaus Schreiner zu
Recht konstatiert, war einer »von ungezügelter Strafmentalität gespeisten Symbol-
freude« im Zuge einer fortschreitend institutionellen Verdichtung des kirchlichen
Rechtsraumes ohnehin im Verlauf des 12. Jahrhunderts der Boden entzogen, stör-
ten doch »unkontrollierbare Schandprozessionen die Rationalität formgebundener
Entscheidungsprozesse«184. Das Recht trat allerdings nicht unvermittelt in die Nach-
folge des Augenscheins. Die seit der Zeit um 1200 kodifizierten Degradationsvor-
schriften belegen vielmehr, wie sehr das Zeremoniell der degradatio reads auf die
Evidenz des Mediums Kleidung angewiesen blieb.

f) Reformierte Identität: Wege der Statusvergewisserung
Der Schandritt des Johannes XVI. und ebenso der Bruch des in seinem Namen
geleisteten Sicherheitseides gegenüber dem Stadtpräfekten Crescentius hatte das
Ansehen Kaiser Ottos III. gleichfalls nicht unbeschädigt gelassen. Zwar stieß sein
rigides Durchgreifen gegen die römische Rebellion gerade im nordalpinen Reichs-

181 Ordericus Vitalis, Ecclesiastical history. Bd. 6, XII 27, S. 306: In cænobio quod Cavea dicitur, ne con-
tra catholicorum pacem aliquo modo ganniret, intrusit. Die verschiedenen Quellen und Überliefe-
rungsstränge diskutiert Schreiner, Gregor Vili., S. 161-169, hier S. 164.
182 Le liber pontificalis. Bd. 2, S. 377: Talibus ergo indumentis ornatus in comitatu Pontificis praecedebat,
revertens ad Urbem cum tanto dedecore, quatinus et ipse in sua confunderetur erubescentia et aliis
exemplum preberet ne similia ulterius attemptare présumant.
183 Ekkehard von Aura, Chronik, hrsg. und übers, von Franz-Josef Schmale/Irene Schmale-Ott
(Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters 15), Darmstadt 1972, S. 123-
209 und 267-377, S. 348: Sunt etiam, qui talibus eum asserant deprehensum flagitiis, quae nostris indi-
gnum duximus tradere scriptis. Falco von Benevent, Chronicon Beneventanum. Città e feudi
nell'Italia dei Normanni, hrsg. von Edoardo dAngelo (Per verba 9), Florenz 1998, S. 62: Viribus
sumptis, civitatem illam comprehenderunt et Gregorium illum turpissime, ultra quam credi potest, in-
iuriis afflictum ligaverunt.
184 Schreiner, Gregor VIII., S. 170f. Das Fortbestehen derartiger Traditionen belegt anschaulich der
von Brabanzonen initiierte Schandritt einer Nonne, vgl. Annales Colonienses maximi, hrsg.
von Georg Heinrich Pertz, MGH SS 17, Hannover 1861, S. 723-847, a. 1198, S. 807: Sanctimonialem
quandam omnibus indumentis spoliatam melle perungentes in plumis lectualibus volutabant, sicque mon-
struose hirsutam caballo inposuerunt, versa eius facie ad caudam caballi.
 
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