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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0094

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I. Einordnung und Auszeichnung: Spielräume mittelalterlicher Kleiderwahl

singer den Angehörigen des ordo gallicus Gorzer Provenienz in seiner Diözese nur
wenig Ruhe109.
Die Debatte um den rechten Habit darf keinesfalls isoliert von der Diskussion
um die legitime Auslegung der Benediktsregel gesehen werden. Ebensowenig wird
man sie als marginales Randkapitel der Ordensgeschichte des 11. und 12. Jahrhun-
derts betrachten dürfen. Der hinter der klösterlichen Kleiderkritik stehende »An-
spruch auf den Besitz der alleinseligmachenden Form des Mönchtums«110 zielt viel-
mehr auf die Kernbereiche monastischen Selbstverständnisses. Der Diskurs der
Mönchorden sucht die Grenzen des Tragbaren neu zu definieren und argumentativ
zu verschieben. Die jeweilige Wahl des Habits und ihre argumentative Begründung
läßt sich keineswegs als selbstbezogene Frömmigkeitsbekundung deuten. Sie fällt
als Repräsentation rechtmäßiger Regelauslegung vielmehr unter jene »Strategien
und soziale, pädagogische, politische Praktiken, die Autorität beanspruchen - und
zwar auf Kosten anderer, denen sie abgesprochen wird -, ein Reformvorhaben legiti-
mieren, oder - gegenüber den Individuen selbst - (...) Entscheidungen und Handlun-
gen rechtfertigen sollen«.111 Die Analogie von äußerem Schein und legitimer Eebens-
weise wurde dabei von beiden Seiten gleichermaßen reflektiert. Die verschiedenen
Zweige des benediktinischen Mönchtums zeigten sich stets bemüht, den eigenen
Habit zum Indikator gottgefälliger Eebensweise zu stilisieren. Zwangsläufig
verbunden damit mußte eine Degradierung und Diffamierung der jeweils anderen
Trachtgewohnheiten und damit letztlich eine soziale Marginalisierung ihrer Träger
sein. Auch wenn die Gültigkeit eines solchen Analogieschlusses von Schein und
Sein von den Gegnern des Modewandels vehement bestritten wurde: Die verzwei-
felte Suche nach Belegen der eigenen Regelkonformität dokumentiert, in welchem
Ausmaß die Identitätskonstruktionen der alten benediktinischen Gemeinschaften
durch den Modewandel bereits an Kohärenz verloren hatten.

c) Die Macht der Mode: Das Regiment der kurzen Röcke
Die >Geschichte des Tragbarem korrespondierte offenkundig mit den zeittypischen
Machtbalancen rivalisierender Interessengemeinschaften und Institutionen112: »Der
Ausdifferenzierungsprozeß des Modesystems überkreuzt sich schon früh mit dem
des politischen Systems«, er steht ebenso in enger Tuchfühlung mit den Mechanis-
men sozialer Mobilität und Gruppenbildung113. Jeder offensive Vorstoß zu neuen
109 Vgl. Sabine Buttinger, Das Kloster Tegernsee und sein Beziehungsgefüge im 12. Jahrhundert
(Studien zur altbayerischen Kirchengeschichte 12), München 2004, S. 181-192.
110 Hallinger, Gorze - Kluny, S. 715. Trotz der unverkennbaren Polemik gegen die Neuerer ist dem
Axiom des Autors zuzustimmen, der den Streit um den rechten Habit als geradezu notwendi-
gen Strang eines weiter gefaßten Diskurses um die legitime monastische Lebensform sieht: »Re-
formgegensätze und Trachtengegensätze bedingen einander«, ebd. S. 701.
111 So Roger Chartier, Kulturgeschichte zwischen Repräsentationen und Praktiken, in: Ders., Die
unvollendete Vergangenheit. Geschichte und die Macht der Weltauslegung, Berlin 1989, S. 7-20,
S. 11.
112 So in Abwandlung des Titels von Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in
die historische Diskursanalyse, Tübingen 2001.
113 Vgl. hierzu Doris Schmidt, Die Mode in der Gesellschaft. Eine systemtheoretische Analyse,
Baltmannsweiler 2007, S. 90, die sich im folgenden bemüht zeigt, den Zusammenhang zwischen
politischer Zentralisierung und modischer Differenzierung nachzuweisen, dabei aber vor al-
 
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