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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0104

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104

I. Einordnung und Auszeichnung: Spielräume mittelalterlicher Kleiderwahl

desvertreter manifestierte, bot wenig Raum für ein >Understatement< einzelner
Gruppenmitglieder. Wo gesetzliche Regularien oder die Instrumente zu ihrer
Durchsetzung fehlten, griffen Mechanismen der sozialen Kontrolle allem Anschein
nach vergleichsweise effektiv. Dabei wurde dem Schmuckbedürfnis des Einzelnen
sichtlich größerer Freiraum gewährt als einer Zurückweisung der gruppenspe-
zifischen Kleidernorm. Zum Ausdruck kommt darin eine soziale Dimension des
Kleiderverhaltens, die Georg Simmel treffend als Pendant vormoderner Ehrvorstel-
lungen gekennzeichnet hat: Was einer Person zu tragen anstand, bemaß sich nicht
zuletzt an den Statuserwartungen ihres sozialen Umfeldes. Das Potential, das sich
für den Einzelnen aus der Partizipation am gemeinsamen Sozialprestige ergab, war
eng an eine repräsentative Verpflichtung gekoppelt: Die Wahl des Gewandes hatte
den Usancen der übergeordneten Gruppe stets Rechnung zu tragen, da »der ein-
zelne in seiner Ehre eben zugleich die seines sozialen Kreises, seines Standes, dar-
stellt und bewahrt«17. Eine Steigerung des kollektiven Ansehens durch modische
Variationen konnte daher bei den Gleichgestellten weitaus eher auf Zustimmung
hoffen als die mutwillige Negation der gemeinschaftlichen Anstandsnormen: »Bes-
ser ist es aber doch immer, ein Narr in der Mode als ein Narr außer der Mode zu
sein«, so formulierte bereits Immanuel Kant treffend die im sozialen Kontext des
Hofes »knechtisch« bindende Doktrin vestimentärer Statuspräsentation18.

b) Verfemte Aussteiger
Die »für das Denken jener Zeit grundlegende Identität von >Stand< und Kleidung«19
in Frage zu stellen, war folglich mit hohen Risiken für die gesellschaftliche Bin-
dung einer Person verknüpft. Wurden die über das Medium der Kleidung formu-
lierten Identitätskonstruktionen stets nur in Relation zu den Gepflogenheiten des
gesellschaftlichen Umfeldes verständlich, so mußte das Ausscheren aus dem Rah-
men gemeinschaftlich vertretener Statuskonventionen die soziale Zuordnung ins-
gesamt gefährden. Ein Paradebeispiel hierfür bietet ohne Zweifel der Werdegang
der heiligen Elisabeth von Thüringen zu Beginn des 13. Jahrhunderts.
Offenbar vom franziskanischen Armutsideal inspiriert, soll sich die Tochter
des ungarischen Königs Andreas II. bereits in einer frühen Lebensphase entschie-
den haben, ein gottgefälliges Dasein in der Nachfolge Christi zu führen20. Dieser
17 Simmel, Philosophie der Mode, S. 12; vgl. auch Hans Medick, Eine Kultur des Ansehens. Kleider
und Kleiderfarben in Laichingen 1750-1820, in: Historische Anthropologie 2 (1994), S. 193-212,
S. 194f.
18 Immanuel Kant, Der Streit der Fakultäten, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (Akade-
mie Textausgabe 7), Berlin 1968, S. 245.
19 Otto Gerhard Oexle, Armut und Armenfürsorge um 1200. Ein Beitrag zum Verständnis der
freiwilligen Armut bei Elisabeth von Thüringen, in: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin, Heilige,
hrsg. von der Philipps-Universität Marburg in Verbindung mit dem Hessischen Landesamt für
geschichtliche Landeskunde, Sigmaringen 1981, S. 78-100, S. 80.
20 Vgl. zur spirituellen Einbettung Kaspar Elm, Die Stellung der Frau im Ordenswesen, Semireli-
giosentum und Häresie zur Zeit der heiligen Elisabeth, in: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin,
Heilige, hrsg. von der Philipps-Universität Marburg in Verbindung mit dem Hessischen Lan-
desamt für geschichtliche Landeskunde, Sigmaringen 1981, S. 7-28; Oexle, Armut. Auch im Be-
reich des Laienfrömmigkeit finden sich interessante Parallelen, vgl. etwa Jakob von Vitry, Vita
Mariae Oigniacensis, hrsg. von Daniel Papebroeck, Acta sanctorum, Juni, Bd. 4, Paris 1707,
 
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