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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0101

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Vielleicht befürchten wir mit Recht,
dass unser Charakter wie ein Pulver auseinanderfallen könnte,
wenn wir ihn nicht in eine öffentlich zugelassene Tüte stecken
Robert Musil, Nachlass zu Lebzeiten

4. Aufsteiger und Aussteiger:
Devianz, Distanzierung und soziale Kontrolle

a) Vom Modenarren zum Nestbeschmutzer
Franziskus, der Sohn des wohlhabenden Tuchhändlers Pietro Bernardone aus
Assisi, verkörperte in jungen Jahren aus Sicht späterer Biographen den Typus eines
Stutzers und Modenarren. Weiche und wallende Gewänder habe er geliebt und
danach gestrebt, allen in modischer Prachtentfaltung zuvorzukommen1: »Ja in seiner
Sucht aufzufallen war er sogar so eitel, daß er einmal am gleichen Kleid einen überaus teueren
Stoff mit einem ganz wertlosen zusammennähen ließ«, so überliefert es die sogenannte
Dreigefährtenlegende2. Mit diesem Verhalten erregte er indes kaum den Unmut sei-
ner Umgebung. Unter den jungen Männern seiner Heimat galt er im Gegenteil ob
seines weitläufigen und freigebigen Auftretens als überaus beliebt, zeitweise sei er
sogar zu deren Anführer erkoren worden3. Die Situation änderte sich schlagartig,
als sich ein radikaler Wandel in Lebensführung und Gesinnung des Kaufmanns-
sohns bemerkbar machte. Die Freunde standen der inneren Umkehr ihres einstigen
Kumpans, der sich auch äußerlich zusehends von ihrem Treiben distanzierte, ratlos
gegenüber: »Wenn er sich körperlich noch bisweilen zu ihnen gesellte, fragten sie ihn wie-
derholt wie im Scherz: >Willst du nicht eine Frau heimführen, Franziskus?«<4.
Der Angesprochene jedoch wählte sich die vera religio zur Braut und verschrieb
sich einem Leben in Armut und Askese. Äußerlich abgerissen und durch strenge

1 Thomas de Celano, Vita prima S. Francisci, in: Analecta Franciscana 10 (1926-41), S. 3-115, c. 1,
S. 6f.: Admirationi omnibus erat et in pompa vanae gloriae praeire caeteros nitebatur, in iocis, in curiosis,
in scurrilibus et inanibus verbis, in cantilenis, in vestibus mollibus et fluidis. Vgl. zum Folgenden Hel-
mut Feld, Franziskus von Assisi und seine Bewegung, Darmstadt 1994, S. 99-135; Raoul Man-
selli, San Francesco dAssisi. Editio maior, Milano 2002, S. 100-138; Oscar Pellesi, Francesco
dAssisi: 1182-1226. Figlio del vento (Biografie francescane 1), Padua 2004, S. 33-88.
2 Legenda trium sociorum. Edition critique, hrsg. von Théophile Desbonnets, in: Archivum Fran-
ciscanum Historicum 67 (1974), S. 38-144, c. 2, S. 91: In curiositate etiam tantum erat vanus quod ali-
quando in eodem indumento pannum valde carum panno vilissimo consui faciebat (Übers, hier und im
Folgenden orientiert an der Ausgabe von Engelbert Grau).
3 Legenda trium sociorum c. 3, S. 94; Thomas de Celano, Vita secunda S. Francisci, in: Analecta
Franciscana 10 (1926-41), S. 129-260, c. 3, S. 134.
4 Legenda trium sociorum c. 5, S. 99: Ut autem socii eius viderent eum ita mutatum, a quibus iam erat
elongatus mentaliter licet adhuc corporaliter aliquando sociaretur eisdem, quasi ludendo rursum inter-
rogant eum: >Visne uxorem ducere, Francisce?<
 
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