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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0150

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150

II. Angebot und Auslegung: Politik im Zeichen der Kleidung

b) Die Wahl der Mittel: Kleider als Requisiten und Bedeutungsträger
politischer Kommunikation
Eine Untersuchung politischer Interaktion im Zeichen der Kleidung muß dieser
doppelten Dimension Rechnung tragen. Zunächst gilt es jedoch, eine notwendige
funktionale Unterscheidung im Hinblick auf die Verwendung vestimentärer Sym-
bolik zu treffen. Auf der Bühne von Politik und Diplomatie erscheinen textile
Objekte einerseits als Requisiten im Kontext formalisierter Handlungsabläufe.
Andererseits können Form, Farbe und Machart der Kleidung zu eigenständigen
Referenzpunkten politischer Zeichensetzung werden. Exemplarisch dargestellt
sei diese Differenz anhand des Gebrauches von Hüten, Mützen und Kopfbedek-
kungen als Bestandteilen politischer Kommunikationsakte34.
Bereits das heute prominenteste Beispiel eines Hutes als Zeichen mittel-
alterlichen Herrschaftshandelns präsentiert diesen nur als indirekten Bedeutungs-
träger. Der eng mit dem Gründungsmythos der Schweizer Eidgenossenschaft ver-
bundene >Geßlerhut< begegnet um 1470 erstmals in den legendarischen Erzählungen
des weißen Buchs von Sarnen. Berichtet wird dort, wie der tyrannische Landvogt
Geßler zu Uri eine Stange mit einem Hut darauf aufrichten und zugleich das Gebot
verkünden ließ, »wer daran vorbeiginge, der solle sich gegenüber dem Hat verneigen, als
wenn der Herr selbst dort wäre«35. Vermutlich mit einem Bezug auf bereits im 14. Jahr-
hundert nachweisbare Praktiken wurde die Kopfbedeckung hier zum öffentlich
sichtbaren Repräsentanten von Rechtsanspruch und politischer Machtstellung
ihres Besitzers erhoben36. Zum Bedeutungsträger avancierte sie indes erst durch
die Entfremdung von ihrer ursprünglichen Funktion als Kleidungsstück. Zudem
erfüllte der Hut seinen geänderten Zweck unabhängig von seiner konkreten
Gestalt und qualitativen Ausführung. Er war demnach vor allem Requisit, das
zwar insofern eine hohe symbolische Signifikanz besaß, als es in leicht nachvoll-
ziehbarer Relation zu Kopf und Körper des abwesenden Vogtes stand. Als zwin-
gend wird man dieses Assoziationsangebot jedoch kaum bewerten müssen. So
zeigt sich, daß durchaus deckungsgleich zum Hut im Kontext von Belehnungen
und Eigentumsübertragung, als Prozeßpfand oder Rekognitionsabgabe37 andere
34 Vgl. allgemein Ernst Schubert, Alltag im Mittelalter. Natürliches Lebensumfeld und menschli-
ches Miteinander, Darmstadt 2002, S. 161 ff.; Gabriela Signori, Räume, Gesten, Andachtsfor-
men. Geschlecht, Konflikt und religiöse Kultur im europäischen Spätmittelalter, Ostfildern
2005, S. 96-113.
35 Das Weisse Buch von Sarnen, hrsg. von Hans Georg Wirz (Quellenwerk zur Entstehung der
Schweizerischen Eidgenossenschaft, Abt. III: Chroniken 1), Aarau 1947, S. 14: wer da fürgieng,
derselb soit sich gegen dem hüt neigen alß wer der Herr selbst da.
36 Fontes rerum Bernensium. Bern's Geschichtsquellen, Bd. 7: Umfassend die Jahre 1344 bis 1353,
Bern 1893, S. 554, wo es um 1350 über einen Basler Amtmann heißt: do nam er sinen stab und stacht
inn in den herd und satzte sin hüte dar ufund sprach: hie ist min herre von Basel.
37 Vgl. Friedrich Merzbacher, Der Hut im Recht, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung
34/35 (1975), S. 839-851; Adalbert Erler, Art. Hut, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsge-
schichte, Bd. 2 (1978), Sp. 275f.; Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen
Rechtssprache, Bd. 6, hrsg. von Hans Blesken, Weimar 1961-1972, Sp. 126-131. Ruth Schmidt-
Wiegand, Kleidung, Tracht und Ornat nach den Bilderhandschriften des >Sachsenspiegels<, in:
Terminologie und Typologie mittelalterlicher Sachgüter: Das Beispiel der Kleidung. Internatio-
nales Round-Table-Gespräch Krems an der Donau. 6. Oktober 1986. Mit 40 Abbildungen (Veröf-
fentlichungen des Instituts für Mittelalterliche Realienkunde Österreichs 10. Österreichische
Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Sitzungsberichte 511), Wien
 
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