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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0018

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18

Zur Einführung

vormodernen Gesellschaft. Das Kleid charakterisiert er als »vorrangiges Instru-
ment sowohl der kollektiven wie der persönlichen Identitäts-Visualisierung«27. Der
Philologe nimmt in der Einleitung des von ihm selbst herausgegebenen Sammel-
bandes Abstand von der Frage nach einer selbstreferentiell-autonomen Individuali-
tät Burckhardt'scher Prägung, erteilt jedoch gleichfalls dem Modell eines statisch
typisierten Subjekts eine klare Absage. Statt dessen verweist er auf die wechselsei-
tige Bedingtheit von sozialer Prägung und personaler Selbstdefinition und begibt
sich somit auf den Spuren George Herbert Meads auf das Diskursfeld der sozialpsy-
chologischen Identitätsforschung.
Das Potential eines solchen fächerübergreifenden Brückenschlages für die
Suche nach den Spielräumen mittelalterlicher Bekleidungspraxis nutzbar zu
machen, ist auch erklärtes Anliegen dieser Studie. Aufschluß versprechen hierbei
nicht allein die literarische Inszenierung der Kleiderwahl in den unterschied-
lichen Gattungen historiographischer, poetischer und ikonographischer Quellen.
Einzubeziehen sind gleichermaßen Hinweise auf performative Praktiken der
Selbstpräsentation in Politik und Gesellschaft. Hier kann inhaltlich und metho-
disch an die aktuelle Forschung zur symbolischen Kommunikation des Mittel-
alters angeknüpft werden, die das Phänomen Kleidung bislang bemerkenswert
wenig berücksichtigt hat28. Das Sujet der historischen Kleiderforschung und das
gesellschaftswissenschaftliche Arbeitsfeld >Identität< vermögen sich an dieser
Stelle gegenseitig zu befruchten: Haben konventionelle Kostümstudien vielfach
einen harmonischen Gleichklang von Kleiderwahl und Normengefüge evoziert,
so akzentuierten Arbeiten zur Herrschaftsrepräsentation zumeist den souveränen
Inszenierungswillen mittelalterlicher Machteliten. Erst der Blick auf die Problema-
tik der personalen Selbstverortung im Spannungsfeld von subjektiven Positio-
nierungsstrategien und gesellschaftlichen Konvenienzerwartungen vermag den
gesamten Horizont des zeittypischen Kleiderverhaltens zu erschließen.

c) Figurinen des Forschungsprogramms
»Daß der Gelehrte an seinem Schreibtisch bald verzagt, wenn er die so interes-
sante Kulturerscheinung der Mode zu bearbeiten sich anschickt, hat einen guten
Grund«, so eröffnete Norbert Stern 1915 seine methodischen Reflexionen zur
Modetheorie. Neben der Quellenproblematik benennt er dabei eine grundsätzli-
che epistemologische Herausforderung historischer Kleiderforschung: »Zwischen
Geschichte und Gegenwart gilt es hin und her zu laufen, um das Vergangene am
27 Peter von Moos, Einleitung. Persönliche Identität und Identifikation vor der Moderne. Zum
Wechselspiel von sozialer Zuschreibung und Selbstbeschreibung, in: Unverwechselbarkeit.
Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft, hrsg. von Dems.
(Norm und Struktur 23), Köln/Weimar/Wien 2004, S. 1-42, Zitat S. 14.
28 Einige, vornehmlich auf den Akt der symbolischen Herrschaftseinkleidung bezogene Hin-
weise finden sich in den Sammelbänden: Robes and honor. The medieval world of investiture,
hrsg. von Stewart Gordon, New York 2001; Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftsein-
setzungen im kulturellen Vergleich, hrsg. von Marion Steinicke/Stefan Weinfurter, Köln
2005. Der Paderborner Kolloquiumsband Kleidung und Repräsentation in Antike und Mittelal-
ter, hrsg. von Ansgar Köb/Peter Riedel (MittelalterStudien 7), München 2005, erweist sich für
diese Fragestellung als wenig ergiebig.
 
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