Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0116

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
116

I. Einordnung und Auszeichnung: Spielräume mittelalterlicher Kleiderwahl

besungen wurden, erscheinen die Rangabstufungen höfischer Hierarchien seltsam
unscharf. Das literarische Idealbild einer weitgehend konfliktfreien Festgesell-
schaft bot wenig Raum für die Austragung modischer Rivalitäten. Die Distink-
tionsmerkmale innerhalb der Hofklientel wurden in der poetischen Darstellungs-
tradition daher weit »eher verdeckt als akzentuiert«77. Dennoch lohnt sich der Blick
in die volkssprachliche Literatur des Mittelalters. Sie hält nicht nur manch kritische
Bemerkung zu einem understatement adeliger Protagonisten bereit78, sondern
dokumentiert zugleich die vielfachen Vorbehalte gegenüber Aufsteigern in die
durch Herkunft und Verhalten verfeinerte Sphäre höfischer Geselligkeit.

d) Ausgestoßene Aufsteiger
Kristallisationspunkte der statusbedingten Kleiderkritik ergaben sich dabei
vornehmlich entlang der fundamentalen Scheidelinie von adeliger und bäuerlicher
Lebenswelt, die in ein Verhältnis scharfer Opposition gerückt wurden79. Die litera-
rische Überlieferung bietet zahlreiche didaktische Lehrstücke, die gegen das Ein-
dringen Unbefugter in die exklusiven Zirkel des höfischen Publikums polemisier-
ten. Zum Wahrer adeliger Standesvorrechte schwang sich dabei mehr als einmal
der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts unter dem Pseudonym >der Stricken
wirkende Märendichter auf80. In einer auf äsopische Traditionen zurückgreifenden
Fabel berichtete er etwa von einem Raben, der einstmals viele bunte Pfauenfedern
fand und damit voller Eifer sein eigenes Federkleid aufzuwerten suchte. Im Glanze
seines farbenfroh veredelten Gefieders sei er sodann unter die Artgenossen getre-
ten und habe ihnen erklärt: »Seht nur, wie wunderschön ich bin! Es wäre grober Unfug,
wenn ich weiter mit euch Umgang hätte«81. Als er indes Eingang in den Kreis der ech-
ten Pfauen suchte, sei ihm die erhoffte Anerkennung verweigert worden. Statt des-
sen wurde er der unrechtmäßig usurpierten Zierfedern gewaltsam wieder beraubt,
»bis er schwarz war wie zuvor«82. Derart gedemütigt, habe er es lange nicht gewagt,
den anderen Raben unter die Augen zu treten. Als er es dennoch tat, erntete er auf-
grund seines früheren Hochmuts nichts als hämisches Gelächter. So müsse es
jedem ergehen, der in eitler Selbstüberschätzung die eigene Herkunft verleugne, so

77 Brüggen, Kleidung im Mittelalter, S. 18.
78 Vgl. etwa Müller, Einander Erkennen, S. 91, zu einem Trupp landloser Ritter; sowie das zerris-
sene Kleid der Enide bei Hartmann von Aue, Erec, v. 323-366; 637-649.
79 Hier begegnet erneut die grundsätzliche Differenz zwischen Adel und Bauern, die sich bereits
in den frühen Kleiderordnungen wider spiegelt, vgl. oben, S. 48f.
80 Vgl. dazu Dieter Vogt, Ritterbild und Ritterlehre in der lehrhaften Kleindichtung des Stricker
und im sog. Seifried Helbling (Europäische Hochschulschriften l, 845), Frankfurt a.M. 1985,
S. 40-66; Sabine Böhm, Der Stricker: Ein Dichterprofil anhand seines Gesamtwerkes (Europä-
ische Hochschulschriften l, 1530), Frankfurt a. M. 1995; Michael Egerding, Probleme mit dem
Normativen in Texten des Strickers. Vorüberlegungen zu einem Strickerbild, in: Amsterdamer
Beiträge zur älteren Germanistik 50 (1998), S. 131-147.
81 Die Kleindichtung des Strickers, Bd. 3,1, hrsg. von Wolfgang W. Moelleken/Gayle A. Beck/
Robert E. Lewis (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 107), Göppingen 1973, Nr. 93, S. 333f.: >nu
sehet, wie rehte schon ich bin! / ez wære ein michel unsin, / daz ich mit iu solde umbe gan< Vgl. dazu
auch Gundolf Schütze, Gesellschaftskritische Tendenzen in deutschen Tierfabeln des 13. bis 15.
Jahrhunderts (Europäische Hochschulschriften III, 24), Bern 1973, S. 122ff.
82 Ebd. S. 334: do zucte ir ieslich die ir, / unz er wart swarz alsam e.
 
Annotationen