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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0071

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2. Von der Lesbarkeit der Welt

71

bot erlassen, daß Juden und Muslime »beiderlei Geschlechts in jedem christlichen
Land und zu aller Zeit sich durch die Art ihrer Kleidung öffentlich sichtbar vom übrigen
Volk unterscheiden sollen«175. Die konkrete Umsetzung der Kennzeichnungspflicht erfol-
gte zunächst entlang regional tradierter Gepflogenheiten, wobei den Betroffenen
der Gebrauch differenzierender Kleiderformen neuerlich in Erinnerung gerufen
werden sollte. So verlangten etwa die Beschlüsse der Synode von Wien im Jahr
1267, »daß die Juden, die sich in ihrer Kleidung von den Christen unterscheiden sollen,
einen spitzen Hut, den einige in diesen Gegenden zu tragen pflegten und den sie in ihrer
Vermessenheit abzulegen wagten, wieder auf setzen«176. Vergleichbare Bestimmungen
finden sich mit geringer Zeitverzögerung auch im Bereich territorialer und städt-
ischer Gesetzgebung177 und zeugen von der weitgehenden Interessenkongruenz
kirchlicher und säkularer Instanzen. Sie belegen zudem einmal mehr, daß gerade
die frühesten Ansätze herrschaftlich verfügter Kleiderregulierung und sozialer
Segrega tion in hohem Maße einem sittlich-religiösen Kerngedanken folgten.

e) Orientierungswissen und Gewissensausrichtung
Aus der Perspektive theologischer Lehrmeinung stellte Kleidung weniger ein Kri-
terium sozialer als vielmehr religiöser Konvenienz dar. Nicht die Gesellschaftsord-
nung im Sinne moderner sozialtheoretischer Schichtungskriterien schien durch
die Exzesse der Mode in Gefahr, auf dem Spiel stand zugleich mit den göttlichen
Satzungen das Wohl der christlichen Gemeinschaft ebenso wie das Seelenheil des
Einzelnen. Auf diese akute Bedrohung suchten kirchliche Kräfte und weltliche
Herrschaftsträger gleichermaßen zu reagieren, indem sie durch die Kombination
zuverlässiger Richtlinien und unablässiger Ermahnungen die Kleiderwahl der
Gläubigen auf den rechten Weg zu leiten suchten. Der Hauptakzent lag hierbei auf
der Vermeidung von Verstößen gegen die Traditionen christlicher Ethik, auf der
Abwehr von Hoffart und damit allenfalls sekundär auf der Sicherung von Standes-

175 Ebd.: Ne igitur tam damnatæ commixtionis excessus per velamentum erroris huiusmodi excusationis ul-
terius possint habere diffugium statuimus ut tales utriusque sexus in omni Christianorum provincia et
omni tempore qualitate habitus publice ab aliis populis distinguantur cum etiam per Moysen hoc ipsum
legatur eis iniunctum.
176 Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, hrsg. von Giovanni Domenico Mansi, Bd.
23: Ab anno 1225 usque ad annum 1268, Paris 1779, Sp. 1174L: ut ludaei, qui discerni debent in habitu
a Christianis, cornutum pileum, quem quidam in istis partibus consueverunt deferre et sua temeritate
deponere praesumpserunt, resumantur, ut a Christianis evidenter discerni valeant sicut olim in generali
Concilio exstitit definitum. Ähnlich auch die Synoden von Bresslau und Gnesen 1266/7. Die auf
Kühnei zurückgehende, oft abgeschriebene Behauptung detaillierter Vorschriften eines »dem
Mainzer Diözesankonzils von 1229« erweist sich bei näherem Hinsehen als irrig, vgl. Regesten
zur Geschichte der Juden im Fränkischen und Deutschen Reiche bis zum Jahre 1273, hrsg. von
der Historischen Kommission für Geschichte der Juden in Deutschland, bearb. von Julius Aro-
nius, Berlin 1902, Nr. 646, S. 271f.; Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio. Bd. 23,
Sp. 1000: Die in Fritzlar abgehaltene Synode von 1259 (!) wiederholte im Kern die Konzilsbe-
stimmungen von 1215.
177 Die Kennzeichnung mit dem Judenhut erwähnt etwa Schwabenspiegel. Kurzform, hrsg. von
Karl August Eckhardt, MGH Font. iur. Germ. ant. NS. IV.1/2, Göttingen 1960/61, Landrecht 262,
S. 353: die ivden svln hvete tragen die spitz sin, da mit si vz gezeichent von den cristenen Iviten, daz man
sifvir ivden haben sol.
 
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