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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0266

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266

II. Angebot und Auslegung: Politik im Zeichen der Kleidung

und daher wenig spektakulär, so sei im Folgenden die Suggestionswirkung vesti-
mentärer Selbstverortung in einer politisch weitaus labileren Situation beleuchtet.
Der Blick richtet sich dabei nach Rom auf ein, wie Ferdinand Gregorovius bemerkte,
»wunderbares Genie, welches zu den merkwürdigsten Erzeugnissen des Mittel-
alters überhaupt gehörte«: Cola di Rienzo, »den Heldenspieler im zerlumpten Pur-
pur des Altertums«363.
In einer beispiellosen Kampagne hatte der gebildete Notar und begabte Red-
ner die Rückführung der Stadt Rom zum »guten Regiment der Alten« verkündet364.
Am 20. Mai 1347 gelang es ihm durch die Unterstützung weiter Bevölkerungs-
kreise, ein Regiment über die Tiberstadt zu errichten, dessen Reformbemühungen
weit über die Ruinen der antiken Metropole hinaus auf das übrige Italien, das
Reich und das avignonesische Papsttum ausstrahlten. Bei seinen agitatorischen
Auftritten bediente Cola sich nicht allein profunder Kenntnisse antiker Texte
sowie eines überragenden rhetorischen Talentes. Durch allegorische Wandmale-
reien bezog er auch visuelle Medien in sein öffentliches Wirken mit ein365. Zugleich
hebt der zeitnah verfaßte Tatenbericht des Anonimo Romano immer wieder aus-
drucksstarke Kleiderarrangements hervor, die der Chronist offenbar als signifi-
kante Anzeichen der politischen Pläne und persönlichen Qualitäten seines Prota-
gonisten erachtete366.
Der Aufstieg des Sohnes eines Schankwirtes und einer Wäscherin zum »Tri-
bun der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit und Befreier der heiligen römischen
Republik«367 fügt sich in zahlreichen Facetten in das Schema einer charismatischen
Herrschaft368. Diese stützt sich in idealtypischer Betrachtung auf die kollektive
363 Ferdinand Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. Vom V. bis zum XVI. Jahr-
hundert, 4 Bde., München T988, Bd. 11,2, S. 683, 743.
364 Anonimo Romano, Cronica, hrsg. von Giuseppe Porta (Piccola biblioteca Adelphi 125), Mailand
1981, c. 18, S. 110: In breve tiempo li Romani tornaraco allo loro antico buono stato.
365 Speziell dazu Hans Belting/Dieter Blume, Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit. Die Argu-
mentation der Bilder, München 1989, S. 25-28; Serena Romano, Das Rombild, Cola di Rienzo
und das Ende des Mittelalters, in: Römisches Mittelalter. Kunst und Kultur in Rom von der
Spätantike bis Giotto, hrsg. von Maria Andaloro/Serena Romano, Regensburg 2002, S. 25-28,
wo Cola als »Genie der >Public Relations«< vorgestellt wird.
366 Zur Geschichte Cola di Rienzos vgl. generell: Felix Papencordt, Cola di Rienzo und seine Zeit,
Hamburg/Gotha 1841; Paul Piur, Cola di Rienzo. Darstellung seines Lebens und seines Geistes,
Wien 1931; Tommaso di Carpegna Falconieri, Cola di Rienzo, Roma 2002; Amanda L. Collins,
Greater than emperor: Cola di Rienzo (ca. 1313-54) and the world of fourteenth century Rome
(Stylus. Studies in medieval culture), Ann Arbor 2002; Ronald G. Musto, Apocalypse in Rome:
Cola di Rienzo and the Politics of the New Age, Berkeley/Los Angeles 2003. Inhaltlich wenig
überzeugend der Überblick über die symbolischen Ausdrucksformen von Carmela Crescenti,
Cola di Rienzo: simboli e allegorie (Collana >Sophia<), Parma 2003.
367 Briefwechsel des Cola di Rienzo, Bd. 4, Nr. 7, S. 17: Nicolaus Severus et Clemens, libertatis pacis iusti-
cieque Tribunus et sacre Romane rei publice liberator. Vgl. zur Erklärung ebd.. Bd. 5, S. 88-93.
368 So Tommaso di Carpegna Falconieri, Il carisma nel medioevo: una considerazione e due casi di
studio Cola di Rienzo e re Giannino, in: Il carisma nel secolo XI: genesi, forme e dinamiche isti-
tuzionali: atti del XXVII Convegno del Centro studi avellaniti. Fonte Avellana, 30-31 agosto
2005, Negarine di S. Pietro in Cariano 2006, S. 219-242, bes. S. 220ff. Vgl. die neueren Überlegun-
gen zum Konzept bei Wilfried Nippel, Charisma und Herrschaft, in: Virtuosen der Macht.
Herrschaft und Charisma von Perikies bis Mao, hrsg. von dems., München 2000, S. 7-22; Karl-
Siegbert Rehberg, Rationalisierungsschicksal und Charisma-Sehnsucht: Anmerkungen zur
>Außeralltäglichkeit< im Rahmen der institutionellen Analyse, in: Charisma und religiöse Ge-
meinschaften im Mittelalter, hrsg. von Giancarlo Andenna/Mirko Breitenstein/Gert Mel-
ville, Münster 2005, S. 3-23, sowie ebd. das Vorwort der Hrsg. Eine mustergültige Analyse in
 
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