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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0267

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3. Die Spielarten der Auszeichnung

267

Anerkennung außeralltäglicher Qualitäten einer Persönlichkeit, »um derentwillen
sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen (...), nicht jedem andern zugäng-
lichen Kräften oder Eigenschaften begabt oder als gottgesandt oder als vorbildlich
und deshalb als >Führer< gewertet wird«369. Im Sinne Max Webers repräsentiert
Charisma »die große revolutionäre Macht in traditional gebundenen Epochen«.
Sie vermag »aus Not oder Begeisterung geboren« das enge Korsett traditionaler
Konventionen und Normensysteme zugunsten einer geistigen und politischen
Neuorientierung zu sprengen370. Im Falle Cola di Rienzos richtete sich diese Dyna-
mik zunächst gegen die Machtkartelle der römischen Aristokratie, deren Klientel-
verbände der Tribun weithin erfolgreich auf ein durch seine Person verkörpertes
politisches Programm zu verpflichten vermochte371. Dennoch wichen seine öffent-
lich proklamierten Ziele vom Idealtypus charismatischer Herrschaftsbegründung
insofern ab, als sie nicht utopische Neuerung, sondern Restauration einer fernen
Vergangenheit propagierten. Den durch das Königtum repräsentierten traditiona-
len Formen von Herrschaft kann das Regiment Cola de Rienzos daher nicht »schroff
entgegengesetzt« werden372. Es folgte vielmehr vergleichbaren Einien der Argu-
mentation, indem es Innovationen aus der Tradition vermeintlich glanzvoller Tage
inhaltlich abzuleiten suchte373. Allerdings zwangen die stets fragilen Machtbalan-
cen seines politischen Aktionsfeldes den Aufsteiger in auffällig kurzen Intervallen
zur Aktualisierung und Nuancierung seiner Identität als Vertreter einer wieder-
erwachten römischen Republik. Die Kleiderwahl Cola di Rienzos spiegelt daher
gleichsam zeitgerafft die Mechanismen vestimentärer Selbstverortung, wie sie
auch für die übrigen Herrscher Europas wirksam waren.
Aufwendig gestaltete Kleiderarrangements begleiteten die politischen Inszenie-
rungen des römischen Notars bereits seit Beginn seiner öffentlichen Auftritte. Sie
dienten einer Visualisierung der desolaten politischen Zustände in seiner Heimat-
stadt einerseits und der erstrebenswerten Anknüpfung an den Weltruhm der
Antike andererseits. Insofern trug die Wahl des Gewandes dazu bei, einen Deu-
tungsrahmen zu schaffen, innerhalb dessen die grotesk anmutenden Inszenierun-

vergleichbarem Kontext bietet beispielhaft Ulrich Meier, Der letzte Mensch. Charismatische
Herrschaft und Menschenformung im Gottesstaat: Savonarolas Florenz und das Täuferreich zu
Münster, in: Menschenformung in religiösen Kontexten, hrsg. von Manfred Hettling/Michael
G. Müller, Göttingen 2007, S. 33-58.
369 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 140.
370 Ebd.S. 142.
371 Zum generell als populo bezeichneten Anhang siehe eingehend Andreas Rehberg, Cola di Ri-
enzo e il Comune di Roma, 1: Clientele e fazioni nell'azione politica di Cola di Rienzo (Roma nel
Rinascimento. Inedita 33), Rom 2004, bes. S. 28-32. Für Uwe Israel, Von Cola di Rienzo zu Ste-
fano Porcari. Revolten im Rom des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Revolte und Sozialstatus von der
Spätantike bis zur Frühen Neuzeit = Révolte et statut social de l'Antiquité tardive aux Temps
modernes, hrsg. von Philippe Depreux (Pariser historische Studien 87), München 2008, S. 149-
168, S. 159, waren es jedoch besonders die klientelen Bindungen an die Barone, die Cola letztlich
scheitern ließen.
372 Ebd. S. 141: »Die traditionale Herrschaft ist gebunden an die Präzedenzien der Vergangenheit
und insoweit ebenfalls regelhaft orientiert, die charismatische stürzt (innerhalb ihres Bereichs)
die Vergangenheit um und ist in diesem Sinn spezifisch revolutionär.«
373 Vgl. Tilman Struve, Cola di Rienzo und die antike lex regia, in: >Ins Wasser geworfen und Oze-
ane durchquert« Fs. für Knut Wolfgang Nörr, hrsg. von Mario Ascheri, Köln 2003, S. 1009-1029,
S. 1028: »Die auf solche Weise erinnerte Vergangenheit ist zum Motor einer auf Veränderung der
bestehenden Verhältnisse drängenden Entwicklung geworden.«
 
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