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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0111

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4. Aufsteiger und Aussteiger: Devianz, Distanzierung und soziale Kontrolle

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ihr das gleiche prachtvolle Gewandstück unversehrt zurückerstattet53. Die bewußte
Standesentäußerung Elisabeths wird demnach durch göttliche Intervention gänz-
lich kompensiert. Ein eigenwilliger Bruch der diesseitigen Ordnung der Zeichen, so
die beredte Aussage des Altarbildes, wurde damit durch das Eingreifen himmli-
scher Mächte sofort im Sinne der gottgewollten Ordnung getilgt.

c) Adel verpflichtet!
Der Verzicht auf standesgemäße Kleidung mußte gerade in Kreisen der herrschen-
den Eliten auf Ablehnung und Unverständnis stoßen. Wie sich die Mehrheit der
adeligen Zeitgenossen des Hochmittelalters das Äußere eines wahren Heiligen vor-
stellte, illustrierte der Ependichter Hartmann von Aue nicht ohne tadelnden Sar-
kasmus54. In seiner mittelhochdeutschen Rezeption der Legende des Inzestheiligen
Gregorius erzählt er von zwei vornehmen Römern, die sich auf Gottes Geheiß nach
Aquitanien begeben, um den seit siebzehn Jahren als Einsiedler kümmerlich leben-
den Helden als neuen Papst einzuholen. Dabei wird die Vorstellung der Gesandten
vom äußeren Erscheinungsbild eines würdigen Oberhaupts der römischen Kirche
deutlich artikuliert: Sie ersehnen sich eine Person, die den höfischen Standards von
Schönheit und Eleganz vollauf genügen würde: »Eine anmutige Erscheinung / am Kör-
per und am Kleid / wie sie niemand sonst / mit Edelsteinen, / Seide und Gold / in besserer
Weise besitzen könne / ganz nach Belieben gefertigt.«55 Erwartet wird höfisches Beneh-
men, sorgfältig frisierte Haar- und Barttracht sowie »ein derart hautenges Beinkleid, /
wie es in der Welt schön gebräuchlich ist.«56 Statt dessen stoßen die Boten auf eine
struppige und ausgemergelte Elendsge stalt, die gleichwohl durch die Strapazen
der Askese von jeglicher inneren Schuld gereinigt ist: »So fanden sie den Gottesfreund

53 Vgl. zu den Abbildungen Brigitte Rechberg, Elisabeth bekleidet Nackte, in: Die heilige Elisa-
beth in der Kunst - Abbild, Vorbild, Wunschbild. 700 Jahre Elisabethkirche in Marburg, Mar-
burg, 1983, S. 73-82; Annette Kindler, Altenberger Altar, in: Elisabeth von Thüringen. Eine
europäische Heilige, Bd. 1: Katalog, hrsg. von Dieter Blume/Matthias Werner, Petersberg 2007,
S. 273-277; Christian Schuffels, >Beata Gerdrudis, filia sancte Elyzabeh. Gertrud, die Tochter
der Heiligen Elisabeth, und das Prämonstratenserinnenstift Altenberg an der Lahn, in: Elisa-
beth von Thüringen. Eine europäische Heilige, Bd. 2: Aufsätze, hrsg. von Dieter Blume/Matt-
hias Werner, Petersberg 2007, S. 229-244, hier S. 238f., jeweils mit der älteren Literatur.
54 Vgl. dazu Raudszus, Kleiderkritik, S. 68-73; Ulrich Ernst, Der Antagonismus von vita carnalis
und vita spiritualis im >Gregorius< Hartmanns von Aue. Versuch einer Werkdeutung im Hori-
zont der patristischen und monastischen Überlieferung, Teil I, in: Euphorion 72 (1978), S. 160-
226, bes. S. 212-226; Brüggen, Kleidung und Mode, S. 152f.
55 Hartmann von Aue, Gregorius, hrsg. von Hermann Paul/Burghart Wachinger (Altdeutsche
Textbibliothek 2), Tübingen M984, v. 3379-3389: einen harte schoenen man / dem vii lützel lender an /
hunger oder vrost schein / oder armuot dehein, / von zierlichem geraete / an lihe und an der waete, / daz
nieman deheine / von edelem gesteine, / von siden und von golde / bezzer haben solde, / wol ze wünsche
gesniten, mit wol geschorenem barte, / in allen wis also wol getan / als er ze tanze solde gân, / mit sô gekirn-
ter beinwât / sô si zer werlde beste stat, / den envunden si niender da: / er mohte wol wesen anderswä.
56 Ebd. v. 3396-3402: mit wol geschorenem barte, / in allen wis also wol getan / als er ze tanze solde gân, /
mit sô gelimter beinwât / sô si zer werlde beste stät, / den envunden si niender dà: / er mohte wol wesen
anderswä.
 
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