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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0110

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110

I. Einordnung und Auszeichnung: Spielräume mittelalterlicher Kleiderwahl

eliten avancierte die exzentrische Landgräfin nach ihrem frühen Tod zur Trendset-
terin. Anläßlich der Erhebung ihrer Gebeine 1236 fand sich selbst Kaiser Fried-
rich II. bereit, den herrscherlichen Schmuck abzulegen und sich zumindest
kurzzeitig nach dem Vorbild der ein Jahr zuvor kanonisierten Heiligen in einen
einfachen Armenkittel zu hüllen50. Für einen kurzen Augenblick schien es, als
würde der eigensinnige Feldzug Elisabeths gegen die mondänen Exzesse adeliger
Eitelkeiten in einen vollständigen Triumph münden.
Doch war ihrem Erfolg keineswegs Nachhaltigkeit und Dauer beschieden. Wie
im Leben, so konnte die Königstochter auch im Tod die Zeichen ihrer Herkunft
niemals vollständig abstreifen. Als ranghohe Adelige, nicht als Bettlerin, blieb Eli-
sabeth im kollektiven Gedächtnis nachfolgender Generationen präsent. Das Bild
der mildtätigen Fürstin im kostbaren Kleid und nicht das der schwer arbeitenden
Hospitalschwester im grauen Demutsgewand genoß höchste Wertschätzung in der
Sakralkunst des späteren Mittelalters51. Bereits ein gutes Jahrzehnt nach ihrem Tod
wurde sie daher auf den Glasfenstern ihrer Grabeskirche als mächtige Herrscherin
im Glanze prunkvoller Gewänder statusgemäß ins Bild gesetzt52. Spätere Genera-
tionen gingen in ihren ständisch orientierten Darstellungen der adeligen Heiligen
gar noch weiter. Das bereits in der Mantellegende angelegte Motiv göttlicher Ehren-
wahrung lebte dabei von neuem auf. Auf der rechten Flügelseite des Altenberger
Altars (1348) etwa sieht man Elisabeth, wie sie ihren pelzgefütterten Mantel einem
Bettler herabreicht. Im selben Moment erscheint ein Engel über der Landgräfin, der

Archivum Franciscanum Historicum 2 (1909), S. 240-268, S. 256; Werner, Elisabeth, S. 110, mit
einem 1262/72 entstandenen unedierten Predigttext. Den Höhepunkt dieser Tendenz markiert
zweifellos die im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts entstandene große franziskanische Elisa-
beth-Vita, die das Gewand Elisabeths unmittelbar auf ein ihr durch Papst Gregor IX. übermit-
teltes Kleidungsstück des Franziskus zurückführt, vgl. dazu Matthias Werner, Große franzis-
kanische Elisabeth-Vita (Fragment II), in: Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige,
Bd. 1: Katalog, hrsg. von Dieter Blume/Matthias Werner, Petersberg 2007, S. 248f.
50 Dazu der Bericht des Caesarius von Heisterbach, Sermo de translatione beate Elyzabeth, hrsg.
von Albert Huyskens, in: Die Wundergeschichten des Caesarius von Heisterbach, Bd. 3, hrsg.
von Alfons Hilka (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 43), Bonn
1937, S. 381-390, c. 4, S. 386f. Vgl. zum Geschehen Helmut Beumann, Friedrich II. und die heilige
Elisabeth: Zum Besuch des Kaisers in Marburg am 1. Mai 1236, in: Sankt Elisabeth. Fürstin, Die-
nerin, Heilige, hrsg. von der Philipps-Universität Marburg in Verbindung mit dem Hessischen
Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Sigmaringen 1981, S. 151-166; Wolfgang Stürner,
Die feierliche Reliquienerhebung am 1. Mai 1236 in Marburg - die wichtigsten Quellenzeug-
nisse, in: Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige, Bd. 1: Katalog, hrsg. von Dieter
Blume/Matthias Werner, Petersberg 2007, S. 161-165; Gerd Althoff, Öffentliche Demut. Fried-
rich II. und die Heiligen, in: Herrschaftsräume, Herrschaftspraxis und Kommunikation zur
Zeit Kaiser Friedrichs IL, hrsg. von Knut Görich/Jan Keupp/Theo Broekmann (Münchner Bei-
träge zur Geschichtswissenschaft 2), München 2008, S. 229-251, S. 242-247.
51 Vgl. etwa die instruktiven Beobachtungen zur gekrönten Darstellung von Maria Prokopp,
Überlegungen zur mittelalterlichen Ikonographie der heiligen Elisabeth, in: Elisabeth von Thü-
ringen. Eine europäische Heilige, Bd. 2: Aufsätze, hrsg. von Dieter Blume/Matthias Werner,
Petersberg 2007, S. 413-420; das folgende auch in: Keupp, Macht und Reiz, S. 97f.
52 Dazu Frank Martin, Die heilige Elisabeth in der Glaskunst. Vermittlungsstrategien eines weib-
lichen Heiligenmodells, in: Elisabeth von Thüringen. Eine europäische Heilige, Bd. 2: Aufsätze,
hrsg. von Dieter Blume/Matthias Werner, Petersberg 2007, S. 293-308, mit zahlreichen Litera-
turhinweisen. Während das große Elisabethfenster in Marburg den Lebensweg der Heiligen
unter Einschluß ihrer Einkleidung in die tunica grisea (Fenster Süd II, 4b) darstellt, findet sie sich
an der Nordseite in prachtvollen, bunten Gewändern unmittelbar neben Christus ins Bild ge-
setzt, vgl. ebd. S. 307, Abb. 19.
 
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