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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0045

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2. Von der Lesbarkeit der Welt

45

Dynamik der Ehre, die letztlich zum Tod der beiden Adeligen führen sollte, wurde
allein durch einen unstandesgemäßen Gruß in Gang gesetzt. Auslöser dafür war
ein arglistiges Täuschungsmanöver des Bischofs. Dieser hatte die beiden Adeligen
in aller Öffentlichkeit dazu gebracht, zwei Unfreien der Konstanzer Kirche einen
ehrerbietigen Gruß zu entbieten, ja vor ihnen gar die Hüte zu ziehen und sich
respektvoll zu verneigen. Der listige Bischof hatte ihnen die beiden Hörigen unter
falschem Anschein beim Gastmahl präsentieren lassen: »Man ließ es aber so aussehen,
als seien es Nachbarn und freie Leute«33. Die Kammerboten machten sich mit ihrer Ehr-
bezeugung zum Gespött der bischöflichen Gefolgsleute, die über die wahren Sach-
verhalte naturgemäß bereits im Bilde waren. Die Reaktion der öffentlich desavouier-
ten Edelleute fiel dementsprechend schroff aus: Als sie den Bischof einige Zeit später
in ihre Gewalt gebracht hatten und ihn gefesselt zu ihrer Burg abführen wollten,
begegneten sie einer Schar gaffender Schweinehirten. »Als Berchtold sie erblickte,
sprach er: >Neige dich vor diesen da, Gottverfluchter, und lecke ihnen die Füße, daß sie Gnade
für Dich erflehen!««'' Durch dieses Inversionsritual hofften die standesstolzen Adeli-
gen, ihre eigene ehrverletzende Verneigung wettmachen zu können. Ihr rabiater
Kompensationsversuch wurde jedoch vor dem Königsgericht als unzumutbarer
Übergriff verurteilt und mit der Todesstrafe belegt.
In anderen Fällen konnte es bei verbalen Richtigstellungen bleiben, wenn etwa
die Zeichen sozialer Statuszugehörigkeit ohne Absicht ignoriert oder falsch inter-
pretiert worden waren. Gleichwohl sichtlich empört konterte im Verlauf des 15. Jahr-
hunderts der Europareisende Breslauer Niklas von Popplau auf die Frage eines Ein-
wohners Sevillas, ob er denn ein echter Ritter wäre: Dieweil ihr ritterliche Zeichen an
meinem Hallse hängen sehet, was dürft ihr fragen35. In seiner Heimat nämlich sei es
nicht gebräuchlich, daß Heiden, Juden oder Bauern sich mit goldenen Schmuck-
stücken zierten. Nicht viel anders reagierte auch der betagte Adelige Martin von
Fridingen nach einer Erzählung der Zimmerschen Chronik. Auf einem Spazier-
gang durch Konstanz erschien dieser ganz schlecht beklaidt, als dann die alten vor
jharen keiner cöstlichkait der claider haben geachtet. Dennoch erwartete er, als Angehö-
riger des Adels erkannt und anerkannt zu werden, trug er doch zumindest ein
33 Ekkehard IV., St. Galler Klostergeschichten, hrsg. und übers, von Hans F. Haefele (Ausge-
wählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 10), Darmstadt 1980, S. 42: Fingebantur
autem vicini esse et liberi. Quibus talibus aspectis assurgunt germani, pilleis detractis regratiant vena-
tores reverenter inclinati. Die Stelle läßt offen, durch welches Mittel der Täuschung die List ge-
lang. Allerdings ist kaum von einer verbalen Äußerung und somit offensichtlichen >Lüge< des
Bischofs auszugehen, die Geschichte gewinnt ihre Pointe ja gerade aus dem Fehlgriff der Gra-
fen, die sich allzu vertrauensvoll blenden ließen. Vgl. Keupp, Macht, S. 273f.
34 Ebd. S. 48: Quibus visis Perhtolt: inclinare coram istis<, inquit, >Dei maledicte, et, ut tibi veniam precen-
tur, pedes eis lambeU Gerd Althoff, Die Veränderbarkeit von Ritualen im Mittelalter, in: Formen
und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, hrsg. von dems. (Vorträge und For-
schungen 51), Stuttgart 2001, S. 171 ff., verweist auf eine weitere Wurzel dieses Fußfalls: Kurz
zuvor nämlich hatte Salomon auf die deditio angespielt, die ihm von beiden Grafen im Angesicht
König Arnulfs geleistet worden war und die ihnen eine schwerere Strafe erspart hatte. Hier
mögen in der Tat zwei Motive ineinander geflossen sein, gerade die inferiore Stellung der
Schweinehirten verweist freilich auf die beschriebene Tischszene als eigentlichen Auslöser.
35 Die Reisebeschreibung Niclas von Popplau Ritters, bürtig von Breslau, hrsg. von Piotr Radzi-
kowski, Krakau 1998, S. 99, vgl. Werner Paravicini, Der Fremde am Hof: Nikolaus von Popplau
auf Europareise 1483-1486, in: Fürstenhöfe und ihre Außenwelt. Aspekte gesellschaftlicher und
kultureller Identität im deutschen Spätmittelalter, hrsg. von Thomas Zotz (Identitäten und Alte-
ritäten 16), Würzburg 2004, S. 291-337.
 
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