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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0047

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2. Von der Lesbarkeit der Welt

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gemeinsame Zielrichtung der gesetzgeberischen »Kontrollphantasie«39 scheint
gerade aus jenen spät- und nachmittelalterlichen Reglementierungs ver suchen klar
hervorzugehen: zu ere, nutz und underscheid aller stende, so findet sich im Wormser
Reichsabschied von 1495 angekündigt, sei eine reichsweite Ordnung der Kleider-
frage anzustreben40. Kaiser, Fürsten und Stände hätten zu einer einhelligen Rechts-
satzung gefunden, so hebt der einschlägige Absatz der Reichspolizeiordnung von
1530 programmatisch hervor: Nach dem ehrlich/ zimlich unnd billich/ daß sie eyn jeder/
wes wirden oder herkommen der sei/ nach seinem standt/ ehren und vermögen trag! domit
inn jeglichem standt underschiedlich erkantnuß sein mög41. Die Statusfrage wird hierbei
zur zentralen Triebfeder der Rechtssetzung stilisiert, die herrschaftlich verfügte
Klassifizierung sozialer Gruppen sollte sich in den Nuancen der Kleiderwahl maß-
stabsgetreu widerspiegeln.
Analoge Argumentationsmuster finden sich zur gleichen Zeit in zahlreichen
der städtischen und landesherrlichen Kleidervorschriften: »Nach 1500 gibt es
kaum eine Kleiderordnung, die nicht bemüht ist, jedes Detail der Kleidung der
Unterscheidung der Stände dienstbar zu machen. Alle anderen Gesichtspunkte
werden diesem einen untergeordnet«, so resümiert Liselotte Constanze Eisenbart
über Intentionen und ideelle Hintergründe der frühneuzeitlichen Gesetzgebung42.
Kleiderordnungen hätten demnach aus einer konservativen Grundhaltung heraus
die Stabilisierung sozialer Hierarchien angestrebt. Ihr Hauptanliegen sei es gewe-
sen, »regulierend in das gesellschaftliche Gefüge einzugreifen, die mittelalterliche
und frühneuzeitliche Ständeordnung in der Öffentlichkeit und für die Öffentlich-
keit festzuschreiben«43. In diesem Sinne dienten sie der symbolischen Bewahrung
und Reproduktion sozialer Ungleichheit, die »als ein richtiges erkanntes Grund-
prinzip der vormodernen Gesellschaft angesehen«44 worden sei. Indem sie einer
fortschreitenden, gruppenübergreifenden Modeentwicklung die rechtsverbindli-
che Fixierung ständisch signifikanter Kleidungsmerkmale entgegensetzten, such-
ten sie mit gesetzlichen Mitteln »auf immer dynamischer werdende soziale
Umschichtungen«45 zu reagieren. Zumal dort, wo die jüngere Forschung eine ge-
samtgesellschaftliche Klassifizierung und Hierarchisierung als Leitideen zu er-
kennen vermeinte, hat sie sich dem Phänomen der Kleiderordnungen unter dem
Paradigma der >Sozialdisziplinierung< zu nähern versucht46, einer von der Staats-

39 Dinges, Unterschied, S. 60.
40 Karl Härter, Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung des Heiligen Römischen
Reiches Deutscher Nation im 16. Jahrhundert, in: lus Commune 20 (1993), S. 61-141, S. 71.
41 Die Reichspolizeiordnungen, S. 141.
42 Eisenbart, Kleiderordnungen, S. 58.
43 Bulst, Konfliktstoff, S. 32, zuletzt aufgegriffen von Reich, Kleidung, S. 56.
44 Bulst, Konfliktstoff, S. 32.
45 Dinges, Unterschied, S. 58.
46 Vgl. insb. Bulst, Zum Problem, S. 31ff.; Harry Kühnel, Kleidung und Gesellschaft im Mittelal-
ter, in: Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung. Vom Alten Orient bis zum ausgehenden Mit-
telalter, hrsg. von dems. (Kröners Taschenausgabe 453), Stuttgart 1992, S. XXVI-LXIX, S. XLV,
XLVI, L; Inke Worgitzki, Samthauben und Sendherren - Kleiderordnungen im frühneuzeitli-
chen Frankfurt, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 68 (2002), S. 167-199; sowie im
Überblick Martin Dinges, Normsetzung als Praxis? Oder: Warum werden die Normen zur
Sachkultur und zum Verhalten so häufig wiederholt und was bedeutet dies für den Prozess der
>Sozialdisziplinierung<?, in: Norm und Praxis im Alltag des Mittelalters und der Frühen Neu-
zeit. Internationales Round-Table-Gespräch Krems an der Donau, 7. Oktober 1996, hrsg. von
 
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