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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0121

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4. Aufsteiger und Aussteiger: Devianz, Distanzierung und soziale Kontrolle

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recht haben. / Doch meine Kappe, mein Haar / und meine vornehm schmucke Kleidung /
lassen es einfach nicht zu, / daß ich dauernd hier bleibe. / Die funkeln und glänzen so, / daß
sie viel besser zum Tanz passen, / als zu Egge oder Pflug«, so rief er dem Vater zu107, der
ihm mahnend den Rat auf den Weg gab: »Hüte nur Deine Haube!«108. Helmbrechts
Karriere als Raubgeselle und Soldritter war in der Tat nur von kurzer Dauer. Der
Dichter ließ ihm ob seines Hochmuts und Ungehorsams ein schlimmes Schicksal
zuteil werden. Vom Büttel gefaßt und verstümmelt, vom Vater verstoßen und von
den Nachbarn verlacht, endete sein Leben schließlich durch die Hände seiner ein-
stigen Opfer, die ihm eines Morgens im Wald schwer zusetzten: »Wie sie sich so mit
Prügeln / kräftig an ihm rächten, schrien sie: / Hüte nun Deine Haube, Helmbrecht!«109.
Kein Fingerbreit sei von der Kappe unversehrt geblieben, zerstört wie das Leben
ihres Trägers blieb sie am Wegesrand zurück.
Gewiß handelt es sich bei den genannten Beispielen ständisch orientierter
Hoffartskritik um literarische Fiktionen, deren quellenmäßig greifbares Gegen-
stück sich »in der Realität nicht finden läßt«110. Dennoch spiegeln sich in der poeti-
schen Ausgestaltung des Kleidermotivs grundlegende Facetten zeitgenössischer
Wahrnehmungs- und Handlungshorizonte wider. Die kunstvollen Kompositionen
der Dichter mögen dabei weniger konkret über das vestimentäre Verhalten nicht-
adeliger Gruppen Auskunft geben. Indem sie vornehmlich für den Vortrag vor
adelig-höfischem Publikum konzipiert waren, korrespondieren sie jedoch zwei-
fellos mit den in diesen Kreisen verbreiteten Wertungskategorien111. In ihrem Licht
erscheint der Ausbruch aus den herkunftsbedingten Kleiderkonventionen mit
einem moralischen Maßstab gemessen als verwerfliches und letztlich nach göttli-
chem Willen zu ahndendes Vergehen. Ein unmittelbares und selbständiges Ein-
greifen der diesseitigen Obrigkeit wird hierbei allenfalls am Rande gefordert, der
Büttel etwa bestraft Helmbrecht als Räuber, läßt ihm jedoch bezeichnenderweise
die seidene Haube unangetastet. Breiten Raum nehmen hingegen die Ermahnun-
gen der Familie und Standesgenossen ein. Die Furcht vor üblem Leumund, ja sozi-
aler Exklusion, wurde offenbar als wirksames Instrument zur Erhaltung der eta-
blierten Ordnung bewertet. Das Moment der sozialen Kontrolle wurde mithin
durch den Hinweis ergänzt, daß nicht allein das Kleid den Edelmann mache. Es
bedurfte in den Augen der Rezipienten mehr als Ambition und übersteigertes
Selbstvertrauen, um das kostbare Kleid des Adels tatsächlich ausfüllen zu können.
Des Strickers pflichtvergessener Knecht stößt hier ebenso an seine Grenze wie
Neidharts Bauernlümmel und Wernhers ehrgeiziger Karrierist. Ohne standes-
107 Ebd. V. 509-515: Er sprach: >vater, dû hast war. / mich enlät min hübe und min har / und min wol stände
gewæte / niht belîben stæte. / diu sint beidiu so glanz, / daz si baz zæmen einem tanz / dan der eiden oder
dem phluoc.< Vgl. auch v. 271ff.
108 Ebd. v. 429: sô hüete dîner hüben.
109 Ebd. v. 1878ff.: dô si sich wol errächen / mit siegen an im, si sprächen: Anw hüete der hüben, Helmbreht!<
110 Volker Honemann, Gesellschaftliche Mobilität in Dichtungen des deutschen Mittelalters, in:
Zwischen Adel und Nichtadel, hrsg. von Kurt Andermann/Peter Johanek (Vorträge und For-
schungen 53), Stuttgart 2001, S. 27-48, S. 41. Vgl. ähnlich Gerhard Schindele, >Helmbrecht<. Bäu-
erlicher Aufstieg und landesherrliche Gewalt, in: Literatur im Feudalismus, hrsg. von Dieter
Richter (Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 5), Stuttgart 1975, S. 131-211, S. 166ff.
111 Vgl. auch Anton Schwöb, Die Kriminalisierung des Aufsteigers im mittelhochdeutschen Tier-
epos vom Tuchs Reinhart< und im Märe vom >Helmbrecht<. Zur gesellschaftlichen Funktionali-
tät mittelalterlicher deutscher Literatur (Wissenschaftliche Beiträge der Ernst-Moritz-Arndt
Universität Greifswald. Deutsche Literatur des Mittelalters 1), Greifswald 1984, S. 42-67.
 
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