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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0163

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2. Die Spielregeln der Identität

163

Annahme des päpstlichen Purpurs scheiterte demnach an der mangelnden Idonei-
tät des Prätendenten: »Und so kam es, daß, wie sein Sinn verdreht und seine Absichten
krumm waren, zum Zeugnis seiner Verdammung der Mantel verkehrt und schief saß.«27 Die
Investitur wird somit als Vorgang der Identitätszuweisung gekennzeichnet, der
zugleich Auskunft über die individuelle Eignung des Amtsanwärters versprach.
Das neu verliehene Gewand schuf die Grundlagen allgemein respektierter Identi-
tät, indem es zum Kristallisationspunkt kollektiver Erwartungen an das zukünf-
tige Verhalten seines Trägers wurde. Seine öffentliche Annahme spiegelte zugleich
die individuelle Bereitschaft, sich diesen Maximen nach bestem Vermögen zu
unterwerfen. Das sichtbar gemachte Aufeinandertreffen von Amtsgewalt und per-
sönlicher Befähigung versprach eine Wirkung des Ritualgeschehens über den
unmittelbaren Augenblick hinaus und begründete »die Erwartung kalkulierbaren
Verhaltens in der Zukunft«28. Dies galt sowohl für die künftigen Handlungen des
solchermaßen Investierten als auch für seine fortwirkende Anerkennung durch die
Zeugen des Investituraktes. Da offenbar trotz des schismatischen Wahlausgangs
auf beiden Seiten ein grundlegender Konsens über den verpflichtenden Charakter
des Einkleidungsrituals bestand, mußte die Frage des formal korrekten Vollzugs
und seiner individuellen Voraussetzungen zum essentiellen Ausgangspunkt der
Legitimitätsdebatte werden.
Die Investitur mit den dinglichen Symbolen eines Amtes war offenbar Privileg
und Bürde zugleich: Sie umgaben ihren Träger mit einer Aura gesteigerter Autori-
tät, verpflichteten ihn jedoch zugleich auf einen Modus künftigen Verhaltens, der
letztlich in der Vorstellung einer gottgewollten Ordnung des irdischen Daseins
sein festes Fundament besaß. Das Ritual der Investitur, so formulierte es treffend
Bernd Schneidmüller, »band die Gegenwart in den breiten Strom von der Vergan-
genheit zur Zukunft« ein29. Egal ob König Heinrich I. von seinem Vorgänger »den
Mantel der alten Könige« empfing30, am Sattel eines Herrschers wie im Falle Kon-
rads II. die »Steigbügel Karls« des Großen hingen31 oder ob nach den berühmten Wor-
ten Walthers von der Vogelweide König Philipp von Schwaben, eines Kaisers Bruder
und eines Kaisers Kind, als herrscherliche >Dreifaltigkeit< »in einem Gewand« einher-
schritt32 - stets verband sich mit der äußeren Aufmachung die Inklusion in eine
überzeitlich präsente Gemeinschaft Gleichgekleideter. War Kontinuität ein Wesens-
merkmal der Kleidung von Priesterschaft und Königtum, so oblag dem jeweiligen
Träger des Ornats die Orientierung am legitimen Handeln seiner einstigen Inhaber.
Dieser Mechanismus der Spiegelung und Vervielfältigung von Identität im Zeichen
27 Ebd. IV.61, S. 628: Sicque factum est, ut, sicut tortae mentis erat et intentionis obliquae, ita ex transverso
et obliquo mantum fuerit in testimonium suae dampnationis indutus.
28 Gerd Althoff, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003,
S. 23.
29 Bernd Schneidmüller, Investitur- und Krönungsrituale. Mediaevistische Ein- und Ausblicke,
in: Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, hrsg.
von Marion Steinicke/Stefan Weinfurter, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 475-488, S. 476.
30 Widukind von Corvey, Sachsengeschichte, hrsg. von Paul Hirsch, MGH SS rer. Germ. 60, Han-
nover T935, l, 25, S. 38: Sumptis igitur his insigniis, lancea sacra, armillis aureis cum clamide et veterum
gladio regum ac diademate.
31 Wipo, Gesta Chuonradi II imperatoris, in: Wiponis Opera, hrsg. von Harry Bresslau, MGH SS
rer. Germ. 61, Hannover 1915, S. 1-61, c. 6, S. 28f.: Chuonradus Caroli premit ascensoria regis.
32 Walther von der Vogelweide, Leich, 1,9,2, S. 37 (= L 19,8f.): dà gienc eins Reisers bruoder und eins Rei-
sers Rint / in einer wât, swie doch die namen drige sint.
 
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