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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0165

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2. Die Spielregeln der Identität

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von Segusio37. Es stehe solchen Legaten daher zu, außerhalb Italiens rote Gewänder
sowie den weißen Zelter mit goldenem Zaumzeug als Insignien der apostolischen
Vollgewalt zu verwenden38. Da es »der menschlichen Natur nicht gegeben« sei, so äu-
ßerte sich dessen Schüler Wilhelm Durand, »daß die Essenz unseres Körpers vollstän-
dig und gleichzeitig an verschiedenen Orten anwesend ist«, müsse sich der apostolische
Stuhl ob der Vielfalt seiner Amtsobliegenheiten zeitweise eines solchen Doppel-
gängers bedienen39. Im Zeremoniell sollte er als Abbild des Papstes dessen Rangpo-
sition selbst gegenüber dem Kaiser einnehmen40. Die visuelle Verschmelzung mit
dem Stellvertreter Petri hatte zweifellos eine Vervielfältigung, indes keineswegs
eine Aufspaltung der päpstlichen potestas zum Ziel. Eine dauerhafte Doppelung der
Amtsinsignien schien in keiner Weise akzeptabel. Bei seiner Rückkehr zum Resi-
denzort des Papstes sollte der Legat daher den Zeremonialvorschriften des 14. Jahr-
hunderts entsprechend seine Hoheitszeichen auf der Stelle ablegen: »Er entledigt
sich sowohl des roten Mantels als auch des roten Birrets und nimmt einen gewöhnlichen
Mantel und eine ebensolche Kopfbedeckung an, wie sie die übrigen Kardinale gebrauchen«41.
In der Praxis des Gesandtschaftswesens fungierten die legati a latere daher nicht ei-
gentlich als Ebenbilder des Papstes, sondern blieben stets als subalterne Mandats-
empfänger an die Direktiven das apostolischen Stuhls gebunden.
Gänzlich anders gestaltet sich die Sachlage auf Seiten der höchsten weltlichen
Gewalt. Zwar konnte auch hier die Exklusivität der königlichen Modesilhouette als
Identitätssignal an Dritte übertragen werden. Bedient wurde hierbei jedoch kein
hierarchisch gestufter, über weite Distanzen hinweg wirksamer Delegations-
mechanismus. Vielmehr bewegen sich die wenigen Belege innerhalb einer Seman-
tik der Freundschaft und persönlichen Nähe. Anders nämlich als der Purpurman-
tel des Papstes stellten die textilen Bestandteile des Herrscherornats im Vergleich
zu Krone und Szepter allenfalls sekundäre Amtsattribute dar und standen daher
für eine variablere Vergabepraxis zur Verfügung. Dies galt insbesondere dann,
wenn es sich um keine zeremonielle Sondertracht, sondern um die offenbar
modisch flexiblere Alltagskleidung eines Herrschers handelte.
Kaiser Otto III., so berichtet etwa die Vita Romualdi des Petrus Damiani,
pflegte ein enges Vertrauensverhältnis zu seinem Truchsessen Tammo, dem Bruder

37 Heinrich von Segusio (Hostiensis), Glossa Ordinaria ad X, Venedig 1595,1, 30, 9: Mittuntur a la-
tere Domini Papae, quia et ipsi pars corporis eius esse intelliguntur.
38 Ebd. ad X, 5, 33, 23: Ubicunque summus Pontifex aut eius legatus utens insigniis, puta vestibus rubeis,
palafredo albo freno et calcaribus deauratis, et similibus, quod facit legatus missus de latere. Die ur-
sprünglich intendierte Beschränkung auf überseeische Missionen wurde in der Praxis nicht
aufrechterhalten.
39 Guilelmus Durantis, Speculum iuris, Venedig 1585, S. 31a: Verum, quia innumerabilium quasi nego-
ciorum varietate distrahimur, et humana natura non patitur, ut essentia nostri corporis totam simul in
diversis locis exhibeat se presentem, illos in partem Apostolicae solicitudinis de latere nostro nonnum-
quam assumimus.
40 Vgl. das Zeremoniale des Augustinus Patritius für das Amt des legatus a latere, bei Wasner,
Fifteenth-Century Texts, Abs. 6, S. 332: Puto tamen salvo iudicio melius sentientis, quod cum duo lu-
minaria constituerit deus in terris, scilicet luminare maius, per quod celsitudo Christi Vicarii intelligitur,
et luminare minus, per quod imperialis maiestatis designatur, quod Imperator non debet cedere legato de
latere sed e contra. Dazu ebd., S. 312.
41 Ordo XIV zitiert nach Wasner, Fifteenth-Century Texts, S. 304: et cum intrat territorium supradic-
tum, statini dimittit signare et deponit cappam rubeam et biretum rubeum, et assumit cappam communem
et biretum tale sicut alii cardinales portant.
 
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