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II. Angebot und Auslegung: Politik im Zeichen der Kleidung
noch vor seiner offiziellen Deposition durch das geistliche Gerichtsverfahren. Eine
mögliche Erklärung liefert der Kommentar der Quedlinburger Annalistin: Die
frühzeitig vorgenommenen Verstümmelungen seien der Befürchtung geschuldet
gewesen, der Kaiser könne den gefangenen Gegenpapst in den Genuß seiner Gnade
gelangen und somit straffrei ausgehen lassen176. Die Täter hätten daher eher als
Freunde Christi als Ottos III. gehandelt, was wohl als Absage an das Prinzip der
gratialen Herrschaft zugunsten einer härteren Gangart zum Wohle der kirchlichen
Einheit gedeutet werden muß.
»Wehe dir, der du versucht hast, den Rock Christi auseinanderzureißen und der du dir
in nichtswürdiger Weise angemaßt hast, die Einheit des christlichen Glaubens zu zerstören«,
so hielt man im Jahr 1121 auch dem gefangenen >Pseudopapst< Gregor VIII. entge-
gen177. Die öffentliche Schandprozession, welcher sich der ehemalige spanische Erz-
bischof Mauritius mit dem Beinamen Burdinus auf Veranlassung Calixts II. zu
unterziehen hatte, lehnt sich in vielen Details an die erfolgreiche Depositions-
prozedur des 10. Jahrhunderts an178. Inszeniert wurde anläßlich der Überführung
Gregors in die Ewige Stadt das groteske Gegenstück des päpstlichen Empfangs-
zeremoniells: »Nachdem ihm darauf ein Kamel statt des weißen Pferdes und behaarte
Hammelfelle anstelle des Purpurmantels gerichtet waren, wurde er rückwärtsgewandt auf
dieses Kamel gesetzt und anstatt der Zügel wurde ihm der Schwanz dieses Kamels in die
Hände gelegt«, so berichtet die Papstgeschichte des Kardinals Boso179. Bei dem Zug
über die Via Cassia habe man auf größtmögliche Öffentlichkeit geachtet, um da-
durch die Schande auszutilgen, die Burdinus der Kirche Gottes zugefügt habe180.
Details des demütigenden Spektakels sind durch zahlreiche zeitgenössische Auto-
ren in genußvoller Ausführlichkeit überliefert: das umgekehrte Sitzen zwischen
den Höckern des als Lasttier für das päpstliche Bade- und Kochgeschirr eingesetz-
ten Kamels, die Einkleidung in Schafs- oder Bärenfelle, die Schmähungen des
stadtrömischen Publikums, die finale Einweisung in das im unzugänglichen Berg-
land nahe Salerno gelegene Kloster La Cava, wo dem Delinquenten die Möglichkeit
genommen wurde, »auf irgendeine Weise gegen den Frieden der Rechtgläubigen zu
dorso asine retroversus manu tenens caudam totam distrahitur per urbem. Ähnlich: Le liber pontifica-
lis, hrsg. von Louis Duchesne, Bd. 2 (Bibliothèque des Ecoles françaises dAthènes et de Rome, 2e
série), Paris 1892, S. 261. Zu weiteren Quellen vgl. Regesta Imperii II, 5: Papstregesten 911-1024,
hrsg. von Johann Friedrich Böhmer/Harald Zimmermann, Wien 21998, Nr. 819, S. 250.
176 Die Annales Quedlinburgenses, hrsg. von Martina Giese, MGH SS rer. Germ. 72, Hannover
2004, a. 998. S. 498: Tune quidam non tantum imperatoris quantum Christi amici insequentes Iohannem,
comprehenderunt eum, et timentes, ne, si eum ad augustum destinarent, impunitus abiret, linguam ei et
nares pariter absciderunt oculosque illi penitus eruerunt.
177 Le liber pontificalis, Bd. 2, S. 377: Va, qui tunicam christi attentasti dividere et dilaniare unitatem
catholice fidei nichilominus presumpsisti (Übers, nach Schreiner, Gregor Vili., S. 162).
178 Vgl. zuletzt Caterina Lavarra, Riti d'esclusione e spazio sociale nel Mezzogiorno normanno,
in: Studi in onore di Giosuè Musca, hrsg. von Cosimo Damiano Fonseca/Vito Sivo, Bari 2000,
S. 269-295, S. 289ff.; Mary Stroll, Calixtus II (1119-1124). A Pope Born to Rule (Studies in the
History of Christian Traditions 116), Leiden/Boston/Tokyo 2004, S. 229-232.
179 Le liber pontificalis, Bd. 2, S. 377: Tunc preparato sibi camelo pro albo caballo et pilosa pelle vervecum
pro clamide rubea, positus est in transverso super ipsum camelum, et in manibus eius pro freno posita est
cauda ipsius cameli.
180 Suger von Saint-Denis, Vie de Louis VI le Gros, S. 204: tortuoso animali camelo tortuosum anti-
papam, immo antichristum, crudis et sanguinolentis pellibus caprinis amictum, transversum superposu-
erunt et, ignominiam ecclesie Dei ulciscentes ad urbem antecessit ex more veterum triumphorum, per
medium civitatis via regia, ut magis publicaretur, deductus.
II. Angebot und Auslegung: Politik im Zeichen der Kleidung
noch vor seiner offiziellen Deposition durch das geistliche Gerichtsverfahren. Eine
mögliche Erklärung liefert der Kommentar der Quedlinburger Annalistin: Die
frühzeitig vorgenommenen Verstümmelungen seien der Befürchtung geschuldet
gewesen, der Kaiser könne den gefangenen Gegenpapst in den Genuß seiner Gnade
gelangen und somit straffrei ausgehen lassen176. Die Täter hätten daher eher als
Freunde Christi als Ottos III. gehandelt, was wohl als Absage an das Prinzip der
gratialen Herrschaft zugunsten einer härteren Gangart zum Wohle der kirchlichen
Einheit gedeutet werden muß.
»Wehe dir, der du versucht hast, den Rock Christi auseinanderzureißen und der du dir
in nichtswürdiger Weise angemaßt hast, die Einheit des christlichen Glaubens zu zerstören«,
so hielt man im Jahr 1121 auch dem gefangenen >Pseudopapst< Gregor VIII. entge-
gen177. Die öffentliche Schandprozession, welcher sich der ehemalige spanische Erz-
bischof Mauritius mit dem Beinamen Burdinus auf Veranlassung Calixts II. zu
unterziehen hatte, lehnt sich in vielen Details an die erfolgreiche Depositions-
prozedur des 10. Jahrhunderts an178. Inszeniert wurde anläßlich der Überführung
Gregors in die Ewige Stadt das groteske Gegenstück des päpstlichen Empfangs-
zeremoniells: »Nachdem ihm darauf ein Kamel statt des weißen Pferdes und behaarte
Hammelfelle anstelle des Purpurmantels gerichtet waren, wurde er rückwärtsgewandt auf
dieses Kamel gesetzt und anstatt der Zügel wurde ihm der Schwanz dieses Kamels in die
Hände gelegt«, so berichtet die Papstgeschichte des Kardinals Boso179. Bei dem Zug
über die Via Cassia habe man auf größtmögliche Öffentlichkeit geachtet, um da-
durch die Schande auszutilgen, die Burdinus der Kirche Gottes zugefügt habe180.
Details des demütigenden Spektakels sind durch zahlreiche zeitgenössische Auto-
ren in genußvoller Ausführlichkeit überliefert: das umgekehrte Sitzen zwischen
den Höckern des als Lasttier für das päpstliche Bade- und Kochgeschirr eingesetz-
ten Kamels, die Einkleidung in Schafs- oder Bärenfelle, die Schmähungen des
stadtrömischen Publikums, die finale Einweisung in das im unzugänglichen Berg-
land nahe Salerno gelegene Kloster La Cava, wo dem Delinquenten die Möglichkeit
genommen wurde, »auf irgendeine Weise gegen den Frieden der Rechtgläubigen zu
dorso asine retroversus manu tenens caudam totam distrahitur per urbem. Ähnlich: Le liber pontifica-
lis, hrsg. von Louis Duchesne, Bd. 2 (Bibliothèque des Ecoles françaises dAthènes et de Rome, 2e
série), Paris 1892, S. 261. Zu weiteren Quellen vgl. Regesta Imperii II, 5: Papstregesten 911-1024,
hrsg. von Johann Friedrich Böhmer/Harald Zimmermann, Wien 21998, Nr. 819, S. 250.
176 Die Annales Quedlinburgenses, hrsg. von Martina Giese, MGH SS rer. Germ. 72, Hannover
2004, a. 998. S. 498: Tune quidam non tantum imperatoris quantum Christi amici insequentes Iohannem,
comprehenderunt eum, et timentes, ne, si eum ad augustum destinarent, impunitus abiret, linguam ei et
nares pariter absciderunt oculosque illi penitus eruerunt.
177 Le liber pontificalis, Bd. 2, S. 377: Va, qui tunicam christi attentasti dividere et dilaniare unitatem
catholice fidei nichilominus presumpsisti (Übers, nach Schreiner, Gregor Vili., S. 162).
178 Vgl. zuletzt Caterina Lavarra, Riti d'esclusione e spazio sociale nel Mezzogiorno normanno,
in: Studi in onore di Giosuè Musca, hrsg. von Cosimo Damiano Fonseca/Vito Sivo, Bari 2000,
S. 269-295, S. 289ff.; Mary Stroll, Calixtus II (1119-1124). A Pope Born to Rule (Studies in the
History of Christian Traditions 116), Leiden/Boston/Tokyo 2004, S. 229-232.
179 Le liber pontificalis, Bd. 2, S. 377: Tunc preparato sibi camelo pro albo caballo et pilosa pelle vervecum
pro clamide rubea, positus est in transverso super ipsum camelum, et in manibus eius pro freno posita est
cauda ipsius cameli.
180 Suger von Saint-Denis, Vie de Louis VI le Gros, S. 204: tortuoso animali camelo tortuosum anti-
papam, immo antichristum, crudis et sanguinolentis pellibus caprinis amictum, transversum superposu-
erunt et, ignominiam ecclesie Dei ulciscentes ad urbem antecessit ex more veterum triumphorum, per
medium civitatis via regia, ut magis publicaretur, deductus.