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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0202

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202

II. Angebot und Auslegung: Politik im Zeichen der Kleidung

mentiert indes im Abstand von drei Jahrhunderten die despektierliche Gegenper-
spektive eines deutlich fortschrittsfreundlicheren Beobachters. Keinem Geringeren
als Johann Wolfgang von Goethe erschien der Pomp aus mittelalterlicher Gewan-
dung und altehrwürdigen Insignien in seinem Werk über »Dichtung und Wahr-
heit« nurmehr als das zutiefst groteske Relikt barbarischer Zeiten. Sein Kommentar
schwankte daher zwischen Unverständnis und Borniertheit: Der schmächtige
Joseph II., der 1764 an der Seite seines stattlichen Vaters in Frankfurt einzog,
»schleppte sich in den ungeheuren Gewandtstücken mit den Kleinodien Karls des Großen
wie in einer Verkleidung einher, so daß er selbst sich eines Lächelns nicht enthalten konnte.
Die Dalmatika, die Stola, so gut sie auch angepasst und eingenäht worden, gewährten doch
keineswegs ein vorteilhaftes Aussehen«4. Im Kontrast zu den abgenutzten Stücken des
traditionellen Krönungsornats trafen die eigens zu diesem Anlaß aus purpurfarbe-
ner Seide gefertigten Gewänder des alten Kaisers durchaus den Geschmack des
Dichterfürsten; sie allein »fielen wohl in die Augen: denn alles war neu daran«. Doch
auch Karl I. Stephan, so wußte der wohlinformierte Dichter voll beißendem Spott
zu berichten, habe bei seiner eigenen Krönung 1745 in der »seltsamen Verkleidung«
des altertümlichen Kaiserornats »wie ein Gespenst Karls des Großen« gewirkt5.
Das scharfe Verdikt des Weimarer Poeten mag man getrost »der Herren eige-
nem Geist« zuschreiben, »in dem die Zeiten sich bespiegeln«. Vom Hauch der Auf-
klärung umweht, legt es Zeugnis einer Epoche nationaler Neuanfänge ab. Der
mächtige Frankenkaiser selbst würde das Verdikt des Weimarer Hofdichters ver-
mutlich kaum widerspruchslos akzeptiert haben. Sein eigener Standpunkt berührte
sich weitaus stärker mit der Position Piccolominis, jedenfalls wenn man in diesem
Punkt seinem Biographen Einhard Glauben schenken darf6. Als Freund des Altbe-
währten - so tritt Karl der Große in Einhards Lebensbeschreibung hervor: »Er
verwendete die heimische Tracht, also die der Franken. (...) Ausländische Kleider verabscheute er
und ließ sie sich fast niemals anziehen, mochten sie noch so elegant sein.«7 * * * *. Weiter ausge-
baut und inhaltlich angereichert wurde dieses Motiv des konservativen Kaisers
durch den St.Galler Mönch Notker Balbulus: In seinen >Gesta Karoli magni< stili-
siert er den Frankenherrscher zum erklärten Feind modischer Extravaganzen.
Allein am praktischen Nutzen habe der Kaiser den Wert des Gewandes gemessen
und sei jedem übertriebenen Schmuckbedürfnis mit nachgerade missionarischem
Eifer entgegengetreten. Als er etwa von der beliebten Mode der kurzen >friesischen<
Mäntel erfuhr und überdies bemerken mußte, daß diese Trendkleider zum gleichen

4 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtu ng Lind Wahrheit, München 121994,1 5. S. 203; Heinz Ge-
org Held, Ritualästhetik. Goethes Ekphrase der Frankfurter Kaiserkrönung von 1764, in: Inve-
stitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, hrsg. von
Marion Steinicke/Stefan Weinfurter, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 447-473.
5 Goethe, Dichtung und Wahrheit, 15. S. 201. Vgl. zu ähnlichen Äußerungen der Neuzeit Barbara
Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des
Alten Reiches, München 2008, S. 7ff. Zum nachfolgenden auch Keupp, Success, S. 87ff.
6 Vgl. zur Darstellungsabsicht: Lars Hageneier, Jenseits der Topik. Die karolingische Herrscher-
biographie (Historische Studien 483), Husum 2004, S. 135ff.
7 Einhard, Vita Karoli Magni, c. 23, S. 27f.: Vestitu patrio, id est Francico, utebatur (...) Peregrina vero
indumenta, quamvis pulcherrima, respuebat nec umquam eis indui patiebatur. Vgl. Keupp, Macht, S.
251-254; Michael Moore, The King's New Clothes. Royal and Episcopal Regalia in the Frank-
ish Empire, in: Robes and Honor. The Medieval World of Investiture, hrsg. von Steward Gor-
don, New York 2001, S. 95-135, S. 108, erscheint Karl »as a kind of mannequin who others
dressed up to express their own social ideals«.
 
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