Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0214

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
214

II. Angebot und Auslegung: Politik im Zeichen der Kleidung

und Modewandel dar, so hätte die Beteiligung des Königtums an diesem Wettbe-
werb modischer Distinktion die Unantastbarkeit seines Vorrangs unweigerlich
beschädigt. Die herrscherliche Dignität beruhte zu wesentlichen Teilen auf der
Macht der Tradition und den Leistungen von Dynastie und Amts Vorgängern. Die
Anpassung der herrscherlichen Garderobe an den Zeitgeschmack drohte daher
nicht nur die soziale Distanz zwischen König, Hofklientel und Großen zu verkür-
zen. Sie hätte den Monarchen selbst zum Teil adeliger Hackordnung und damit
prinzipiell angreifbar werden lassen.
Zeitgeschmack und Stilwandel mußten für das mittelalterliche Königtum
daher ein Moment der Verunsicherung und Destabilisierung bedeuten. Treffend
hat Georg Simmel diese zerstörerische Natur der Mode auf den Punkt gebracht: »In
dem Vernichten der früheren Form gewinnt ihr Inhalt seinen Charakter«60. Die
Herrschenden, so führte der Soziologe aus, »fürchten oft genug jede Bewegung und
Veränderung, nicht weil der Inhalt derselben ihnen antipathisch oder schädlich
wäre, sondern weil es überhaupt Veränderung ist und weil jede Modifikation des
Ganzen, das ihnen in seiner augenblicklichen Verfassung eben die höchste Stellung
einräumt, ihnen verdächtig und gefährlich ist.«61 Der von Simmel skizzierte Mecha-
nismus der Modebildung am Schnittpunkt zweier scheinbar gegenläufiger
Momente bietet dabei einmal mehr den Schlüssel zum Verständnis des königlichen
Konservativismus. In einem sich zyklisch selbstreproduzierenden Prozeß führe
das Streben nach individueller Auszeichnung zur kreativen Ausdifferenzierung
der Kleider for men. Der Drang nach sozialer Einordnung und Egalisierung hinge-
gen verleihe diesen Innovationen Breitenwirkung und setze ihnen zugleich not-
wendige Grenzen. Der partielle Ausfall auch nur eines der beiden konstitutiven
Elemente von Einordnung und Auszeichnung führe zur Verlangsamung, im
Extremfall gar zum Ausbleiben der Modeentwicklung62.
Akzeptiert man diese Analyse, so wird das konservative Kleiderverhalten
mittelalterlicher Herrscher unmittelbar verständlich. Zwar entwickelten die Könige
vielfältige Strategien zur symbolischen Abgrenzung und Distinktion. An einer
Angleichung an konkurrierende gesellschaftliche Formationen innerhalb des eige-
nen Herrschaftsbereiches konnte ihnen dabei jedoch kaum gelegen sein. Die mo-
narchische Position an der Spitze der adeligen Hierarchie dispensiert den Herr-
scher zumindest partiell von dem durch Simmel postulierten Grundbedürfnis
nach sozialer Anlehnung. Der besonderen Tracht des Königtums wurde durch ihre
bewußte Negation der modischen Entwicklung eine eigenständige Dignität verlie-
hen, die auf die Person ihres Trägers zurückwirken sollte. Je weniger das königliche
Gewand dem raschen Wettlauf modischen Formen wandeis unterworfen war, umso
prägnanter vermochte es als Symbol eines überzeitlich-transpersonalen Herrschafts-
anspruches zu wirken. Die Folge war eine scheinbare Sklerotisierung des Herr-
scherornats, der neuzeitlichen Beobachtern in der Tat als archaischer Atavismus
60 Simmel, Philosophie der Mode, S. 20. Vgl. Sommer, Soziopsychologie, S. 108f.; Schnierer, Mode-
wandel und Gesellschaft, S. 46ff.
61 Simmel, Philosophie der Mode, S. 31.
62 Ebd. S. 16: »Die venezianischen Nobili, so wird berichtet, hätten keine Mode gehabt, da sie sich
alle infolge eines Gesetzes schwarz zu kleiden hatten, um nicht die Kleinheit ihrer Zahl den
unteren Massen gar zu anschaulich zu machen. Hier gab es also keine Mode, weil das andere
konstitutive Element für sie fehlte, weil die Unterscheidung gegen die Tieferstehenden absicht-
lich vermieden wurde.«
 
Annotationen