Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0216

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
216

II. Angebot und Auslegung: Politik im Zeichen der Kleidung

unberührt lassen konnte65. Vielmehr läßt sich aus der vestimentären Zeichenset-
zung der römisch-deutschen Könige und Kaiser eine sensibel auf den jeweiligen
politisch-kulturellen Kontext reagierende personale >Identitätspolitik< heraus-
lesen66. Diese zielte gemäß der von Simmel skizzierten Gesetzmäßigkeit einerseits
auf eine Angleichung an vorhandene Traditions- und Formbestände, indem sie
etwa Elemente antiker, oströmischer oder kirchlicher Amtstrachten adaptierte.
Andererseits war sie stets auf Abgrenzung und Distinktionsvorteile gegenüber
rivalisierenden politischen Kräften bedacht, die sich formal und argumentativ
gleichfalls aus dem reichen Traditionsschatz altüberkommener Kleidersymbolik
bedienten. Weit stärker als der sichtbare historische Wechsel der einzelnen Ornat-
stücke muß zudem der Wandel der Wissens-, Wahrnehmungs- und Sinngebungs-
horizonte berücksichtigt werden, der gemäß der prägnanten Formulierung Percy
Ernst Schramms auch »dem Erstarrten durch andere Deutung zu neuem Leben zu
verhelfen« vermochte67. Wo die Kleider wähl der Könige oberflächlich betrachtet
ein die Jahrhunderte überdauerndes Kontinuum darstellte, ist daher auch nach den
subtilen Mechanismen der kontextbezogenen Sinnzuweisung zu fahnden.
Methodisch stellt sich der Versuch einer Annäherung an die Identitätspolitik
des mittelalterlichen Königtums gleich in dreifacher Hinsicht als problembehaftet
dar: Zunächst erscheint eine analytische Trennung zwischen Krönungsornat,
Festtagskleidung und herrscherlichem Alltagsgewand zweifellos zweckvoll. Diese
auf den ersten Blick naheliegende, im Überlieferungshorizont verschiedentlich
greifbare Differenzierung68 erweist sich bei näherem Hinsehen indes als kaum
praktikabel. Da das königliche Kleid seinen Träger in jeder Situation identifizieren
65 So bereits anschaulich Josef Deér, Der Kaiserornat Friedrichs II. (Dissertationes Bernenses II/2),
Bern 1952, S. 6: »Die Rivalität zwischen Byzanz und den Barbaren, zwischen Byzanz und dem
Papsttum, dem östlichen und dem westlichen Kaisertum, zwischen Imperium und Sacerdo-
tium, Kaisertum und Regna und schließlich zwischen Kurie und Nationaisstaaten spiegelt sich
in der Entwicklung der Insignien, des Ornats und des Zeremoniells am empfindlichsten und
zugleich am faßbarsten wider.«
66 Der Begriff ist an dieser Stelle abzugrenzen von der auf Gruppen und Kollektive bezogenen,
institutionell gelenkten Konstruktion von Nationen, Rassen oder Geschlecht. Es handelt sich
vielmehr im Sinne des von Erving Goffman beschriebenen impression management um den
Versuch eines Einzelakteurs, bei anderen ein Bild von sich selbst zu erzeugen, das den eigenen
politischen Zielen und Konzepten förderlich erscheint.
67 So Percy Ernst Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte
vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert, 3 Bde. (MGH Schriften 13), Stuttgart 1954-1956,
Bd. 3, S. 1073; ders.. Die Geschichte des mittelalterlichen Herrschertums im Lichte der Herr-
schaftszeichen, in: HZ 178 (1954), S. 1-24, S. 11, bemerkt zutreffend: »Was die Krone anzeigt und
was als Sinn in sie hineingelegt wird, braucht sich nicht zu decken, sondern steht in Wechsel-
wirkung.« Das Spektrum der Sinnzuweisungen sieht er indes vor allem als »Fallstrick«, es ist
ihm aber auch »doppelter Anreiz, allen Ausdeutungen nachzugehen, weil dies ja darauf hin-
ausläuft, festzustellen, wie das, was den >Staat< vertrat, sich in den Köpfen widerspiegelte«.
68 Einen klaren, wenn auch moralisch wertenden Hinweis gibt Einhard, Vita Karoli Magni, c. 23,
S. 28, im Anschluß an die Beschreibung des Festornates: Aliis autem diebus habitus eius parum a
communi ac plebeio adhorrebat. Bereits deutlich eingeschränkt wird das Motiv des volkstümlich
gekleideten Königs bei Rahewin, Gesta Frederici IV.86, S. 710: Vestitu patrio utitur, nec profuso aut
petulanti, sed nec plebeio, cui magis hoc decorum. Eindrücklich der Abschluß des Krönungsberichts
Richards I. bei Matthäus Paris, Historia Anglorum sive, ut vulgo dicitur. Historia minor, hrsg.
von Frederic Madden, 3 Bde. (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores 44), London 1866-
1869, Bd. 2, S. 8: rex, depositis regalibus indumentis, leviores coronam et vestes resumens, perrexit ad
prandium. Zum Motiv des Kleiderwechsels bei Herrschereinzügen vgl. Gerrit Jasper Schenk,
Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich (Forschungen zur
 
Annotationen