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Einleitung
lischer Kommunikation in politischen oder sozialen Ritualen oder
Zeremonien in der kulturwissenschaftlich geprägten Geschichte
intensiv erforscht worden ist, ist eine systematische Analyse der
institutionell geprägten Alltagsinteraktion erst für einige Bereiche
unternommen worden.
2.2 Interaktion und Politik in der Vormoderne
Für den Zweck dieser Studie sei Politik im Anschluss als bewusst
anachronistische Kategorie verwandt, um Situationen zu erfassen,
in denen entweder Akteure im Namen der Kommune handelten
oder in denen Bürger in einem kommunal definierten Handlungs-
rahmen agierten. Politische Interaktion fragt also nach Kommuni-
kationssituationen, in denen mittelalterliche Formen von Staatlich-
keit auf der Ebene der Stadtgemeinde im Spiel sind. Dabei geht es
nicht um den von vornhinein zum Scheitern verurteilten Versuch,
eine Sphäre des Politischen zu definieren, um sie von anderen ge-
sellschaftlichen Feldern oder Subsystemen abzugrenzen, sondern
um Momente im städtischen Leben, die sich in der Retrospektive in
die Geschichte europäischer Staatlichkeit einordnen.^ Konkret be-
trifft das den Anspruch, nicht unmittelbar religiös begründete Nor-
mierungs- und Kontrollgewalt über die Stadt und ihr Umland aus-
zuüben, innergesellschaitliche Konflikte zu unterdrücken oder zu
beenden und im Namen der Gemeinschaft das Wohl der Stadt und
ihrer Bürger zu mehren. Interaktion unter Anwesenden in diesen
Handlungsfeldern stellt den Gegenstand der vorliegenden Studie
dar.
Was implizieren diese Festlegungen? Dass die institutioneile
Struktur der Stadtkommune und die um ihre Kontrolle ausgefoch-
tenen Kämpfe im Zentrum einer Arbeit zu politischer Interaktion
stehen, ist arbiträr. Schließlich wohnt jeglichem institutionalisierten
Ordnungsmuster ein Machtgefälle inne, das in der alltäglichen In-
teraktion oft unbewusst reifiziert wird. Daher könnte sich eine Ana-
lyse der Kommunikationspraxis unter asymmetrischen Vorzeichen
mit jeder sozialen Beziehung befassen. In diesem Sinne können die
Verhältnisse der Geschlechter, Familienstrukturen oder der vormo-
derne Haushalt ebenso als politisch relevante Phänomene betrach-
tet werden wie die Verteilung ökonomischer Ressourcen oder der
21 Eine Skizze zu diesem Thema bietet REINHARD, Geschichte; für das Mittelalter AiRLiE - PoHL -
REiMiTz, Staat; PoHL - WiESNER, Staat. Neue Zugänge eröffnen vergleichend angelegte Koope-
rationen, die die europäischen Befunde neu einordnen: FLÜCHTER - RicHTER, Structures.
Einleitung
lischer Kommunikation in politischen oder sozialen Ritualen oder
Zeremonien in der kulturwissenschaftlich geprägten Geschichte
intensiv erforscht worden ist, ist eine systematische Analyse der
institutionell geprägten Alltagsinteraktion erst für einige Bereiche
unternommen worden.
2.2 Interaktion und Politik in der Vormoderne
Für den Zweck dieser Studie sei Politik im Anschluss als bewusst
anachronistische Kategorie verwandt, um Situationen zu erfassen,
in denen entweder Akteure im Namen der Kommune handelten
oder in denen Bürger in einem kommunal definierten Handlungs-
rahmen agierten. Politische Interaktion fragt also nach Kommuni-
kationssituationen, in denen mittelalterliche Formen von Staatlich-
keit auf der Ebene der Stadtgemeinde im Spiel sind. Dabei geht es
nicht um den von vornhinein zum Scheitern verurteilten Versuch,
eine Sphäre des Politischen zu definieren, um sie von anderen ge-
sellschaftlichen Feldern oder Subsystemen abzugrenzen, sondern
um Momente im städtischen Leben, die sich in der Retrospektive in
die Geschichte europäischer Staatlichkeit einordnen.^ Konkret be-
trifft das den Anspruch, nicht unmittelbar religiös begründete Nor-
mierungs- und Kontrollgewalt über die Stadt und ihr Umland aus-
zuüben, innergesellschaitliche Konflikte zu unterdrücken oder zu
beenden und im Namen der Gemeinschaft das Wohl der Stadt und
ihrer Bürger zu mehren. Interaktion unter Anwesenden in diesen
Handlungsfeldern stellt den Gegenstand der vorliegenden Studie
dar.
Was implizieren diese Festlegungen? Dass die institutioneile
Struktur der Stadtkommune und die um ihre Kontrolle ausgefoch-
tenen Kämpfe im Zentrum einer Arbeit zu politischer Interaktion
stehen, ist arbiträr. Schließlich wohnt jeglichem institutionalisierten
Ordnungsmuster ein Machtgefälle inne, das in der alltäglichen In-
teraktion oft unbewusst reifiziert wird. Daher könnte sich eine Ana-
lyse der Kommunikationspraxis unter asymmetrischen Vorzeichen
mit jeder sozialen Beziehung befassen. In diesem Sinne können die
Verhältnisse der Geschlechter, Familienstrukturen oder der vormo-
derne Haushalt ebenso als politisch relevante Phänomene betrach-
tet werden wie die Verteilung ökonomischer Ressourcen oder der
21 Eine Skizze zu diesem Thema bietet REINHARD, Geschichte; für das Mittelalter AiRLiE - PoHL -
REiMiTz, Staat; PoHL - WiESNER, Staat. Neue Zugänge eröffnen vergleichend angelegte Koope-
rationen, die die europäischen Befunde neu einordnen: FLÜCHTER - RicHTER, Structures.