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Dartmann, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Politische Interaktion in der italienischen Stadtkommune (11. - 14. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 36: Ostfildern, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.34752#0380

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Gerichtsbarkeit - eine Routine geregelter Konfliktbeendigung?

369

5.3.1 Interaktion und Schriftlichkeit im Gerichtsverfahren

Der Prozess der Etablierung des römisch-kanonischen Zivilver-
fahrens in der gerichtlichen Praxis ist bisher nicht systematisch
aufgearbeitet worden. Weil für seine europaweite Verbreitung die
kirchliche, näher päpstliche Gerichtsbarkeit von entscheidender
Bedeutung war, erscheint es als ein Meilenstein, wenn Kanon 38
des Vierten Laterankonzils festschreibt, dass jeder Schritt des Ge-
richtsverfahrens durch einen Notar zu protokollieren ist. Darin
folgte das Konzil im Jahr 1215 aber nur der Praxis, die sich zumin-
dest in den führenden Zentren Oberitaliens zu diesem Zeitpunkt
bereits etabliert hattet Unabhängig von der Normierung durch
das Papsttum, aber in intensiver Wechselwirkung mit kirchlicher
Gerichtsbarkeit, entwickelte sich ein Prozessverlauf, der vor allem
von zwei Kennzeichen bestimmt wurde: erstens der Dekomposition
eines Verfahrens, das nunmehr aus einer langen Folge zwingend
aufeinander folgender und mit mehreren Tagen Abstand voneinan-
der anzusetzender Termine bestand, und zweitens der Pflicht, den
ordnungsgemäßen Ablauf jedes einzelnen Prozessschrittes zu pro-
tokollieren.
Was ist mit der Dekomposition des Verfahrens gemeint? Gerichts-
verfahren des 12. Jahrhunderts sind in der Regel lediglich in einem
Dokument festgehalten worden, das den gesamten Verfahrensgang
von der Einreichung der Klage bis zum Urteilsspruch beinhaltet.
Diese Dokumente legen nicht unbedingt wert auf eine exakte und
detaillierte Wiedergabe sämtlicher Abläufe, aber sie erwecken den
Anschein, man habe an einem oder an wenigen Terminen die Kla-
ge vorgebracht, Zeugen angehört, Urkundenbeweise entgegen ge-
nommen, den Fall debattiert und schließlich das Urteil verkündet.
Zumindest bei weniger komplexen Fällen, in denen die beklagte
Partei vor Gericht erschien, war es so möglich, Streitfälle zügig zu
beenden. Die Kommunikation vor Gericht fand in einer mündli-
chen Verhandlung statt, in der die Prozessparteien, der Richter und
weitere anwesende Personen wie Zeugen oder Notare nach der
Formel von Franz-Josef Arlinghaus ein improvisiertes Theater auf-
führten.^ Durch das Erscheinen vor Gericht und die Anerkennung
der im Rahmen des Verfahrens zugewiesenen Rollen akzeptierten
die Akteure die institutioneilen Vorgaben, unter denen der Konflikt

241 Zur Entwicklung des römisch-kanonischen Prozessrechts und der Durchsetzung des Proto-
kollzwangs ßEHRMANN, Sentenz; WETZSTEIN, Heilige, S. 25-33; zusammenfassend auch WALT-
HER, Fall. Hinweise auf den Kanon 38 in den genannten Publikationen von ßEHRMANN, S. 88,
WETZSTEIN, S. 38 f.
242 Zur Kommunikation vor Gericht prägnant ARLiNGHAus, Theatre; demnächst DERS., Legitima-
tionsstrategien. Vgl. darüber hinaus ßEHRMANN, Atto; WiCKHAM, Court Practice.
 
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