Übergänge zur Kommune
43
bereits die herausragende Rolle thematisiert, die öffentliche Inter-
aktion in Mailand ab der Mitte des 11. Jahrhunderts gespielt hat.
Allerdings lag der Schwerpunkt der Analysen darauf, die Elemente
zu benennen, die bereits auf die spätere Kommune vorausdeuteten
oder bereits als kommunale Strukturen zu interpretieren sind.
Öffentliche Interaktion einer großen Menschenmenge oder vor
den Augen einer zahlreichen Versammlung stellte für die Entste-
hungsphase der Kommune die zentrale Kommunikationssituation
dar. Wenn diese Ereignisse hier erneut untersucht werden, gilt es
zunächst, die Privilegierung proto- oder frühkommunal einzustu-
fender Situationen aufzubrechen. Will man nicht von vornherein
mit eindeutig erkennbaren institutioneilen Grenzen zwischen äl-
teren, stark kirchlich geprägten Handlungsrahmen und sich neu
entwickelnden kommunalen Bezügen rechnen, kann gerade die
Zusammenschau der unterschiedlichen Belege es ermöglichen, die
Spezifika politischer Interaktion in der sich langsam verfestigenden
Kommune zu erfassen. Entscheidend wird zunächst sein, welche
Themen in der öffentlichen Kommunikation überhaupt zur Ver-
handlung kamen. Dann muss die Frage nach der Art und Weise ge-
stellt werden, in der die versammelten Mailänder strittige Sachver-
halte in der Öffentlichkeit zur Sprache brachten. Wurden sie in der
Regel vorab geklärt und in der Versammlungssituation lediglich die
Ergebnisse der Absprachen ratifiziert? Konnte Dissens überhaupt
geäußert werden? Diente das, wenn es möglich war, lediglich der
Kanalisation von Unzufriedenheit oder konnten Meinungsverschie-
denheiten tatsächlich in Gegenwart vieler Menschen ausgetragen
werden? Standen Argumente im Vordergrund oder andere, hand-
greifliche Formen der Meinungsbildung und Überwältigung von
Widerstand? Wie konnten offene Probleme zur Entscheidung ge-
führt werden? Vor der Folie jüngerer Arbeiten zur Kulturgeschichte
des Politischen erscheinen die frühen Einwohnerversammlungen
als zentrales Untersuchungsfeld, wenn plausibel gemacht werden
kann, dass sie nicht lediglich zur öffentlichkeitswirksamen Ratifi-
kation von Entscheidungen dienten, sondern als in ihren Abläufen
relativ offene Situationen eine große Eigendynamik entwickelten.^
Dieser Zugriff auf öffentliche Kommunikation in Mailand während
der Phase, in der sich die kommunalen Strukturen erst allmählich
zu kristallisieren begannen, ermöglicht es, die Diskussion über die
Neuentstehung oder die Evolution dieser Organisationsform er-
neut aufzugreifen. Denn erst wenn die Belege für vermeintlich pro-
34 Bahnbrechende Arbeiten hegen vor allem zu Verläufen und Funktionen von Volksversamm-
lungen in der politischen Kultur der Römischen Republik vor: FLAic, Politik, S. 155-231; HÖL-
KESKAMP, Senatus, S. 219-256; JEHNE, Integrationsrituale. Vgl. zu mittelalterlichen öffentlichen
Versammlungen BARNWELL - MosTERT, Assemblies; PANTOS - SEMPLE, Assembly. Siehe dazu
unten Kapitel 3.3.
43
bereits die herausragende Rolle thematisiert, die öffentliche Inter-
aktion in Mailand ab der Mitte des 11. Jahrhunderts gespielt hat.
Allerdings lag der Schwerpunkt der Analysen darauf, die Elemente
zu benennen, die bereits auf die spätere Kommune vorausdeuteten
oder bereits als kommunale Strukturen zu interpretieren sind.
Öffentliche Interaktion einer großen Menschenmenge oder vor
den Augen einer zahlreichen Versammlung stellte für die Entste-
hungsphase der Kommune die zentrale Kommunikationssituation
dar. Wenn diese Ereignisse hier erneut untersucht werden, gilt es
zunächst, die Privilegierung proto- oder frühkommunal einzustu-
fender Situationen aufzubrechen. Will man nicht von vornherein
mit eindeutig erkennbaren institutioneilen Grenzen zwischen äl-
teren, stark kirchlich geprägten Handlungsrahmen und sich neu
entwickelnden kommunalen Bezügen rechnen, kann gerade die
Zusammenschau der unterschiedlichen Belege es ermöglichen, die
Spezifika politischer Interaktion in der sich langsam verfestigenden
Kommune zu erfassen. Entscheidend wird zunächst sein, welche
Themen in der öffentlichen Kommunikation überhaupt zur Ver-
handlung kamen. Dann muss die Frage nach der Art und Weise ge-
stellt werden, in der die versammelten Mailänder strittige Sachver-
halte in der Öffentlichkeit zur Sprache brachten. Wurden sie in der
Regel vorab geklärt und in der Versammlungssituation lediglich die
Ergebnisse der Absprachen ratifiziert? Konnte Dissens überhaupt
geäußert werden? Diente das, wenn es möglich war, lediglich der
Kanalisation von Unzufriedenheit oder konnten Meinungsverschie-
denheiten tatsächlich in Gegenwart vieler Menschen ausgetragen
werden? Standen Argumente im Vordergrund oder andere, hand-
greifliche Formen der Meinungsbildung und Überwältigung von
Widerstand? Wie konnten offene Probleme zur Entscheidung ge-
führt werden? Vor der Folie jüngerer Arbeiten zur Kulturgeschichte
des Politischen erscheinen die frühen Einwohnerversammlungen
als zentrales Untersuchungsfeld, wenn plausibel gemacht werden
kann, dass sie nicht lediglich zur öffentlichkeitswirksamen Ratifi-
kation von Entscheidungen dienten, sondern als in ihren Abläufen
relativ offene Situationen eine große Eigendynamik entwickelten.^
Dieser Zugriff auf öffentliche Kommunikation in Mailand während
der Phase, in der sich die kommunalen Strukturen erst allmählich
zu kristallisieren begannen, ermöglicht es, die Diskussion über die
Neuentstehung oder die Evolution dieser Organisationsform er-
neut aufzugreifen. Denn erst wenn die Belege für vermeintlich pro-
34 Bahnbrechende Arbeiten hegen vor allem zu Verläufen und Funktionen von Volksversamm-
lungen in der politischen Kultur der Römischen Republik vor: FLAic, Politik, S. 155-231; HÖL-
KESKAMP, Senatus, S. 219-256; JEHNE, Integrationsrituale. Vgl. zu mittelalterlichen öffentlichen
Versammlungen BARNWELL - MosTERT, Assemblies; PANTOS - SEMPLE, Assembly. Siehe dazu
unten Kapitel 3.3.