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Dartmann, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Politische Interaktion in der italienischen Stadtkommune (11. - 14. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 36: Ostfildern, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.34752#0056

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Formen öffentlicher Interaktion: Petrus Damiani in Mailand

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dischen Kirchenmetropole, was nicht zuletzt für die versammelten
Mailänder zum Affront wurde. Zugleich gehört diese Reaktion auf
den Römer zu den frühen Belegen für ein koordiniertes Agieren der
versammelten Bewohner der Stadt. Dafür, dass sich bereits die Zeit-
genossen der Emblematik dieses Besuches bewusst waren, spricht
die gute Quellenlage. Petrus Damiani selbst verfasste im Dezem-
ber 1059 einen Brief an den römischen Archidiakon Hildebrand,
in dem er sein Vorgehen darlegte und rechtfertigte, um sich gegen
den Vorwurf seiner Kritiker zu verteidigen, er habe zu milde Urteile
gesprochen. In diesem Text erörtert er zugleich, welche Rechte die
römische Kirche in ihrem Bemühen um eine Reform der Christen-
heit besitze.^ Daneben liegt eine ausführliche Schilderung dieser
Begebenheit durch den Mailänder Chronisten Arnulf vor, der in ihr
einen Beleg für genau dieselben, von ihm allerdings abgelehnten
römischen Ansprüche sieht, die Petrus Damiani in seinem Rechen-
schaftsbericht formuliert. Daher stellen die Tage der Anwesenheit
der römischen Gesandtschaft in Mailand einen herausragend do-
kumentierten Moment der Stadtgeschichte im 11. Jahrhundert dar.^
Wie war es zu der römischen Gesandtschaft gekommen?"" Am
10. Mai 1057 verursachten Ariald und Landulf, die ersten Protago-
nisten der Pataria, einen spektakulären Skandal. Am Festtag der
Translation der Reliquien des Märtyrers Nazarius störten sie die
feierliche Prozession und erhoben schwere Vorwürfe gegen den
Klerus. Wie auch andere Reformkreise in der Kirche, nicht zuletzt
um den Bischof von Rom, geißelten sie zunächst in Mailand übli-
che Formen des Priesterkonkubinats als Nikolaitismus und dann
gleichfalls lang geübte ökonomische und administrative Praktiken
des Weltklerus als Simonie. Nachdem sie zuvor ihre Anschuldigun-
gen verschiedentlich auf den Straßen und Plätzen der Stadt erhoben
hatten, begann mit dem Eklat während der Prozession die offene
Auseinandersetzung. Mit ihren Vorwürfen und ihrer Agitation tra-
fen die Protagonisten der Pataria offensichtlich einen Nerv der Zeit,
denn sie konnten binnen kurzem durchsetzen, dass die Priester ei-
nen Eid unterschrieben, in Zukunft keusch zu lebenA Die weitere
Chronologie der Ereignisse ist etwas unklar. Offensichtlich reagier-
te der Mailänder Klerus auf die Provokationen der Patarener mit
Hilfegesuchen an die Bischöfe der eigenen Kirchenprovinz und an

38 Petrus Damiani, Briefe 2, Nr. 65, S. 228-247, mit zahlreichen Literaturverweisen; vgl. daneben
die Hinweise von FREUND, Studien, hier die Vita 16, S. 243-249, mit den Anm. Der Text aus der
Zeit kurz nach dem Tod Petrus' Damiani bringt zu den hier behandelten Ereignissen keine
wesentlichen zusätzlichen Informationen, sondern paraphrasiert Brief 65.
39 Arnulf, Liber 3,12 (14), hg. v. ScARAVELLi S. 116-119, hg. v. ZEY S. 182 ff.
40 Für die frühen Jahre der Pataria nach wie vor grundlegend ViOLANTE, Pataria.
41 Die Nachricht hierüber bei Arnulf, Liber 3,10, hg. v. ScARAVELLi S. 114 f., hg. v. ZEY S. 178 f.;
vgl. Landulf senior, Historia 3,5, hg. v. BETHMANN - WATTENBACH S. 76 f., hg. v. CuTOLO S. 87 f.
 
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