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Die Genese der Kommune in Mailand (1050-1140)
nerversammlungen jeweils neu ausgehandelt werden. 1072 nutzte
Erlembald seine dominierende Stellung in der Stadt, 1097 wird die
Versammlung zunächst von einem führenden Mailänder Kleriker
geleitet worden sein, ehe der römische Legat und Elekt von Brescia
gleichsam die ,Versammlungsleitung' und damit auch das ,Recht'
zur Nominierung eines Kandidaten übernahm. Ganz ähnlich konn-
te der erzbischöfliche Vikar Grossolan 1102 dem Primicerius die
Kontrolle der Situation aus der Hand nehmen.
Im Zuge von Personalentscheidungen stellte die Einwohnerver-
sammlung einen entscheidenden Moment dar, ohne dass es eine
feste Geschäftsordnung gegeben hätte. Weder die Nominierung und
Präsentation von Kandidaten noch der zur Partizipation berechtigte
Personenkreis, weder die Formen der Beratung noch die der end-
gültigen Entscheidung waren durch ein formalisiertes Verfahren
geregelt. Das führte zu einer erheblichen Unbestimmtheit der Situa-
tion, die es zum einen ermöglichte, innerstädtische Machtkonstella-
tionen in je besonderer Weise zur Geltung zu bringen. Zum anderen
war aber der Verlauf einer Wahlversammlung' selbst vielfach kaum
vorhersehbar, weil unterschiedliche Strategien zum Erfolg führen
konnten, ohne dass sich der Ablauf und der Ausgang der Interakti-
on zuvor absehen ließen. Dissens zu artikulieren barg ebenso große
Chancen auf Erfolg wie Risiken eines unkontrollierbaren Eskalierens
der Situation. Soweit dies die Quellen erkennen lassen, stellte diese
wenig formalisierte Einwohnerversammlung ein notwendiges Ele-
ment zur Findung eines Bischofs dar, und zwar über den gesamten
hier betrachteten Zeitraum hinweg. An ihrem Ende stand entweder
eine eindeutige Entscheidung oder in zwei Fällen die Delegation
der Wahl an einen salischen Herrscher. Allerdings bedeutete eine in
der Versammlung erfolgte Wahl nicht, dass dadurch zwangsläufig
ein legitimer Nachfolger des heiligen Ambrosius gefunden war. In
einer erstaunlich hohen Zahl der hier analysierten Fälle sah sich der
scheinbare Sieger einer Erzbischofswahl über kurz oder lang erheb-
lichem Widerstand gegenüber, dem es meistens gelang, die Wahl
zu revidieren.^ Einerseits musste also [...] m
MUMm dcn'ds neuer Erzbischof gewählt wer-
den, andererseits musste dieses wenig formalisierte und in seinem
Vollzug beinahe zwangsläufig auf Konsensfindung hin orientierte
Nerfahren' aber nicht zur Legitimität einer Entscheidung führen, an
die sich die Mailänder auf Dauer gebunden fühlten.
124 Zeitweise oder dauerhaft an ihrer Amtsführung in Mailand gehindert bzw. massiv bedrängt
wurden nach den Informationen der Quellen alle Mailänder Erzbischöfe des hier behandelten
Zeitraums der Jahre 1018-1135 mir Ausnahme von Arnulf III. de Porta Orientale (1093-1097)
und Olricus (1120-1126).
125 Landulf senior, Historia 3,3, hg. v. ßETHMANN - WATTENBACH S. 74, hg. v. CuTOLO S. 83.
Die Genese der Kommune in Mailand (1050-1140)
nerversammlungen jeweils neu ausgehandelt werden. 1072 nutzte
Erlembald seine dominierende Stellung in der Stadt, 1097 wird die
Versammlung zunächst von einem führenden Mailänder Kleriker
geleitet worden sein, ehe der römische Legat und Elekt von Brescia
gleichsam die ,Versammlungsleitung' und damit auch das ,Recht'
zur Nominierung eines Kandidaten übernahm. Ganz ähnlich konn-
te der erzbischöfliche Vikar Grossolan 1102 dem Primicerius die
Kontrolle der Situation aus der Hand nehmen.
Im Zuge von Personalentscheidungen stellte die Einwohnerver-
sammlung einen entscheidenden Moment dar, ohne dass es eine
feste Geschäftsordnung gegeben hätte. Weder die Nominierung und
Präsentation von Kandidaten noch der zur Partizipation berechtigte
Personenkreis, weder die Formen der Beratung noch die der end-
gültigen Entscheidung waren durch ein formalisiertes Verfahren
geregelt. Das führte zu einer erheblichen Unbestimmtheit der Situa-
tion, die es zum einen ermöglichte, innerstädtische Machtkonstella-
tionen in je besonderer Weise zur Geltung zu bringen. Zum anderen
war aber der Verlauf einer Wahlversammlung' selbst vielfach kaum
vorhersehbar, weil unterschiedliche Strategien zum Erfolg führen
konnten, ohne dass sich der Ablauf und der Ausgang der Interakti-
on zuvor absehen ließen. Dissens zu artikulieren barg ebenso große
Chancen auf Erfolg wie Risiken eines unkontrollierbaren Eskalierens
der Situation. Soweit dies die Quellen erkennen lassen, stellte diese
wenig formalisierte Einwohnerversammlung ein notwendiges Ele-
ment zur Findung eines Bischofs dar, und zwar über den gesamten
hier betrachteten Zeitraum hinweg. An ihrem Ende stand entweder
eine eindeutige Entscheidung oder in zwei Fällen die Delegation
der Wahl an einen salischen Herrscher. Allerdings bedeutete eine in
der Versammlung erfolgte Wahl nicht, dass dadurch zwangsläufig
ein legitimer Nachfolger des heiligen Ambrosius gefunden war. In
einer erstaunlich hohen Zahl der hier analysierten Fälle sah sich der
scheinbare Sieger einer Erzbischofswahl über kurz oder lang erheb-
lichem Widerstand gegenüber, dem es meistens gelang, die Wahl
zu revidieren.^ Einerseits musste also [...] m
MUMm dcn'ds neuer Erzbischof gewählt wer-
den, andererseits musste dieses wenig formalisierte und in seinem
Vollzug beinahe zwangsläufig auf Konsensfindung hin orientierte
Nerfahren' aber nicht zur Legitimität einer Entscheidung führen, an
die sich die Mailänder auf Dauer gebunden fühlten.
124 Zeitweise oder dauerhaft an ihrer Amtsführung in Mailand gehindert bzw. massiv bedrängt
wurden nach den Informationen der Quellen alle Mailänder Erzbischöfe des hier behandelten
Zeitraums der Jahre 1018-1135 mir Ausnahme von Arnulf III. de Porta Orientale (1093-1097)
und Olricus (1120-1126).
125 Landulf senior, Historia 3,3, hg. v. ßETHMANN - WATTENBACH S. 74, hg. v. CuTOLO S. 83.