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Dohmen, Linda; Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn [Hrsg.]; Jan Thorbecke Verlag [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Ursache allen Übels: Untersuchungen zu den Unzuchtsvorwürfen gegen die Gemahlinnen der Karolinger — Mittelalter-Forschungen, Band 53: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2017

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.51256#0178

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6. Fazit

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Bretagnefeldzug zurückgeführt wurde, in Wahrheit gar nicht die Lichtgestalt
war, für den ihn der Kaiser hielt, sondern dass er sich vielmehr an der Kaiserin
Judith vergriff und dadurch gar auf höchster Ebene des Reiches die rechte, die
göttliche Ordnung der Dinge auf den Kopf stellte. Wie sollten die im Vorjahr in
die Wege geleiteten Maßnahmen zur Verbesserung des allgemeinen Lebens-
wandels, die unter anderem auch gegen Weissagerei, schwarze Magie und
Ehebruch gerichtet waren, greifen, wenn gerade diese Verbrechen im Herr-
scherhaus selbst praktiziert wurden? So war die Stimmung im Frühjahr 830
zumindest für einen Moment eindeutig: Wenn die Krise, in die das Reich im Lauf
der 820er Jahre, also im Grunde genommen seit der zweiten Heirat des Kaisers
mit Judith, zunächst allmählich und dann immer schneller und bedrohlicher
gerutscht war, überwunden werden sollte, mussten die Wurzeln des Übels,
welches das Reich befallen hatte, entfernt werden.

6. Fazit
Im ersten und prominentesten der karolingischen Ehebruchsskandale finden
sich tatsächlich alle Elemente der einleitend skizzierten Forschungsthesen in den
zeitgenössischen Quellen wieder: von Judiths überragendem Einfluss über
Bernhards (unpopuläre) Ratgeberschaft bis hin zu den Vorwürfen als eigentli-
chem Angriff auf Ludwig den Frommen. Die unterschiedlichen Quellen bieten
dabei einen jeweils anderen Fokus, und in diesem Sinne ist der Fall Judith' auch
in Hinblick auf die Quellenlage ,ideal'. Die zeitgenössische Überlieferung ist
nicht nur reich, sondern in besonderem Maße multiperspektivisch, da neben den
Darstellungen pro-kaiserlicher Autoren auch Texte und damit Versionen der
Gegner Ludwigs des Frommen, Judiths und Bernhards überliefert sind.
Die Verschwörer wollten die in Compiegne ergriffenen Maßnahmen als
Strafe für geschehene Verbrechen wie etwa den Ehebruch oder die Praktizie-
rung magischer Praktiken verstanden wissen - im weberianischen Sinne eine
wertrationale Begründetheit ihres Handelns. Bernhards Flucht mochte den
Zeitgenossen dabei als ein Eingeständnis seiner Schuld erscheinen. Darüber
hinaus sollte die Entfernung Judiths und Bernhards sowie ihrer Anhänger vom
Hof künftige Katastrophen verhindern, diente also konkreten Zwecken.
Bernhard ist nach seiner Reinigung 831 tatsächlich nicht mehr am Kaiserhof
bezeugt, Judith jedoch kehrte in ihre alte Stellung zurück. Damit war ein wich-
tiges Ziel der Aufständischen dauerhaft nicht erreicht worden, was daher 833 als
Rechtfertigung eines erneuten Auf Stands angeführt wurde.
Die enge argumentative Verknüpfung der beiden Erhebungen, wie sie in den
Schriften Agobards und Radberts zu Tage tritt, macht deutlich, dass es 830 nur
vordergründig um den Ehebruch der Kaiserin ging. Ihr vermeintlicher Liebhaber
blieb dem Hof nach dem Skandal weitestgehend fern, und dennoch beklagen
Agobard und Radbert, dass mit Judiths Rückkehr die gleichen Übel erneut am
Hof Einzug gehalten hätten, und zwar noch stärker als zuvor. Der Ehebruch, der
Judith und Bernhard 830 zur Last gelegt wurde, erscheint insbesondere bei
 
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