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B.I. Der Idealtypus? - der Fall,Judith1
sischen Kommentaren zum Aufstand mit diesem kausal verknüpft werden, war
es der auf Bernhards Initiative zurückgeführte Feldzug in die Bretagne, der nicht
zuletzt auch die Unzufriedenheit im Heer schürte, der das Fass zum Überlaufen
brachte und als konkreter Auslöser des Aufstands gelten kann - auch darin sind
sich die Zeitgenossen, unabhängig von ihrer politischen Gesinnung, einig. Im
Grenzgebiet zwischen Bretagne, Aquitanien und dem zu Lothars Kernreich
gehörenden Neustrien war es in den vorangegangen Jahren zu personellen
Veränderungen gekommen, von denen die Familie Bernhards von Barcelona
profitiert hatte. Neben Hugo und Matfrid waren auch Hilduin und Helisachar in
diese Auseinandersetzungen verstrickt gewesen. Je nachdem welcher der ge-
nannten Personen bzw. Personengruppen die Hauptrolle bei der Erhebung zu-
geschrieben wird, diskutieren die Quellen die genannten Probleme unter-
schiedlich intensiv. Insgesamt ist es das komplexe Beziehungsgeflecht sowie die
Gemengelage unterschiedlicher, miteinander verwobener Ziele und Motive, die
den Aufstand von 830, aber auch seine argumentative Funktion in den folgenden
Auseinandersetzungen prägten.
So unterschiedlich Ziele und Motive der Aufständischen von 830 auch ge-
wesen sein mögen, lassen sie sich doch auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner
bringen: Mit der Entfernung Judiths und Bernhards sollte die rechte Ordnung
wiederhergestellt werden. An einer Häufung von Naturkatastrophen, Anoma-
lien, aber auch militärischen Niederlagen hatten die Zeitgenossen bereits in den
vorangegangen Jahren zu erkennen geglaubt, dass diese Ordnung im Begriff
war, aus den Fugen zu geraten. Auch der Zusammenhang zum Verhalten des
Herrschers selbst und seiner engsten Umgebung war bereits vor dem Ausbruch
des Aufstands 830 diskutiert worden. So zitierte das Pariser Reformkonzil von
829 unter anderem Pseudo-Cyprians Auslegung des rex iniustus, der mit seiner
Unfähigkeit, Ehebrechern und Nigromanten das Handwerk zu legen, als eines
der zwölf Übel der Welt galt. Sowohl in den Texten der Reformer als auch in
Agobards und Radberts Verteidigungsschriften der Aufständischen stellen
honor, honest as und dignitas des Hofes wie des Reiches Schlüsselbegriffe dar.
Zwar herrschte also Einigkeit darüber, dass die rechte Ordnung durchein-
ander geraten war, aber nicht darüber wie genau diese rechte Ordnung be-
schaffen war. Der Ehebruch von Kaiserin und Kämmerer erscheint dabei als
Ausdruck dieser Unordnung; gleichzeitig konnte er auch als ihre Ursache be-
trachtet werden. Das Ziel der Beendigung dieses einen, wenn auch nicht be-
wiesenen, so doch (be)greifbaren Missstands vereinte die unterschiedlichen
Gruppierungen für einen Moment im Frühjahr 830. Auch nachdem der Ehe-
bruchsvorwurf durch Bernhards Rückzug vom Hof seine Aktualität verloren
hatte, konnte Agobard von Lyon die 830 an der Kaiserin erhobene Kritik 833
erneut zitieren. Entsprechend machte er ohne direkten Bezug auf Bernhard
deutlich, was drei Jahre zuvor erst in Ansätzen im Raum gestanden hatte: Die
Frau, die ihren Mann beherrscht und hintergeht, ist die Wurzel allen Übels und
aller Unordnung. Ein Mann aber, der dies über sich ergehen lässt, kann kein
Kaiser sein.
B.I. Der Idealtypus? - der Fall,Judith1
sischen Kommentaren zum Aufstand mit diesem kausal verknüpft werden, war
es der auf Bernhards Initiative zurückgeführte Feldzug in die Bretagne, der nicht
zuletzt auch die Unzufriedenheit im Heer schürte, der das Fass zum Überlaufen
brachte und als konkreter Auslöser des Aufstands gelten kann - auch darin sind
sich die Zeitgenossen, unabhängig von ihrer politischen Gesinnung, einig. Im
Grenzgebiet zwischen Bretagne, Aquitanien und dem zu Lothars Kernreich
gehörenden Neustrien war es in den vorangegangen Jahren zu personellen
Veränderungen gekommen, von denen die Familie Bernhards von Barcelona
profitiert hatte. Neben Hugo und Matfrid waren auch Hilduin und Helisachar in
diese Auseinandersetzungen verstrickt gewesen. Je nachdem welcher der ge-
nannten Personen bzw. Personengruppen die Hauptrolle bei der Erhebung zu-
geschrieben wird, diskutieren die Quellen die genannten Probleme unter-
schiedlich intensiv. Insgesamt ist es das komplexe Beziehungsgeflecht sowie die
Gemengelage unterschiedlicher, miteinander verwobener Ziele und Motive, die
den Aufstand von 830, aber auch seine argumentative Funktion in den folgenden
Auseinandersetzungen prägten.
So unterschiedlich Ziele und Motive der Aufständischen von 830 auch ge-
wesen sein mögen, lassen sie sich doch auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner
bringen: Mit der Entfernung Judiths und Bernhards sollte die rechte Ordnung
wiederhergestellt werden. An einer Häufung von Naturkatastrophen, Anoma-
lien, aber auch militärischen Niederlagen hatten die Zeitgenossen bereits in den
vorangegangen Jahren zu erkennen geglaubt, dass diese Ordnung im Begriff
war, aus den Fugen zu geraten. Auch der Zusammenhang zum Verhalten des
Herrschers selbst und seiner engsten Umgebung war bereits vor dem Ausbruch
des Aufstands 830 diskutiert worden. So zitierte das Pariser Reformkonzil von
829 unter anderem Pseudo-Cyprians Auslegung des rex iniustus, der mit seiner
Unfähigkeit, Ehebrechern und Nigromanten das Handwerk zu legen, als eines
der zwölf Übel der Welt galt. Sowohl in den Texten der Reformer als auch in
Agobards und Radberts Verteidigungsschriften der Aufständischen stellen
honor, honest as und dignitas des Hofes wie des Reiches Schlüsselbegriffe dar.
Zwar herrschte also Einigkeit darüber, dass die rechte Ordnung durchein-
ander geraten war, aber nicht darüber wie genau diese rechte Ordnung be-
schaffen war. Der Ehebruch von Kaiserin und Kämmerer erscheint dabei als
Ausdruck dieser Unordnung; gleichzeitig konnte er auch als ihre Ursache be-
trachtet werden. Das Ziel der Beendigung dieses einen, wenn auch nicht be-
wiesenen, so doch (be)greifbaren Missstands vereinte die unterschiedlichen
Gruppierungen für einen Moment im Frühjahr 830. Auch nachdem der Ehe-
bruchsvorwurf durch Bernhards Rückzug vom Hof seine Aktualität verloren
hatte, konnte Agobard von Lyon die 830 an der Kaiserin erhobene Kritik 833
erneut zitieren. Entsprechend machte er ohne direkten Bezug auf Bernhard
deutlich, was drei Jahre zuvor erst in Ansätzen im Raum gestanden hatte: Die
Frau, die ihren Mann beherrscht und hintergeht, ist die Wurzel allen Übels und
aller Unordnung. Ein Mann aber, der dies über sich ergehen lässt, kann kein
Kaiser sein.