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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 5.1931

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Guttentag, Otto Ernst: Der Mensch im Krankenhaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.17293#0117

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58 - 59 Meffung ift die naturwiffenfchaftliche Seite der Medizin. Aber das Objekt,
wo wohnen alte leute? Aus einem Film das kranke Leben, ift unendlich und deshalb nicht mehbar. Denn wie die

über das Altersheim der Budge-Stiftung (Architekt

Mart Stam), von Frau Ella Bergmann-Michel. Ver- Natur als Ganzes unendlich ift, fo ift demzufolge das Individuum als Naturgan-

leih durch den „Bund Das Neue Frankfurt", Bahn- ■ 11 ii. ■ ■ ■ •—. ■. i i i i i ■ ■ ■ i r i i i

hofpiatj 4,1. zesein Unendliches, d. h. einmaliges. Und das bedeutet, darj mandem kranken

Where dothe aged live? From afilm onthe Home Menfchen eben lefttlich nicht durch den Apparat nahe kommt, fondern nur

for Aged of the Budge Foundation, by Mrs. Ella ., ,' , ...

Bergmann-Michel, rentable through the "Bund Das durch das Begreifen feiner einmaligen Individualität. Weit über aller Appa-

Neue Frankfurt", 4 Bahnhofplaft, Frankfort-o.-M. ,, . , ■...... ■ ■ ■ . ,.. ■ i i n r - l- i i -■ I Li

Ob vivent les vieliards? Detail d'un film sur la ratur fteht die ärztliche, d. h. einfühlende Perfonl.chkeit, und die bekannten
Retraite desvieuxgensde laFondationBudgepar Bilder vom Arzt der Zukunft, der feine Patienten gar nicht fieht, fondern

Mme. Ella Bergmann-Michel, ä se louer par le . . . .

«Bund das Neue Frankfurt», Francfort-sur-le-Mein, Hirnflüffigkeit, Blut, Urin, die elektrifchen Herzitröme ufw. unterlucht, eine
4, Bahnhopatj Ferndurchleuchtung vornimmt, bedeuten, wie man bemerkt, eine platte Ver-

kennung des medizinifchen Problems. Es kommt nicht darauf an, alle moder-
nen Apparate anzuwenden, fondern es kommt darauf an, gefundene Reful-
tate richtig zu verwerten.

Indem aber fo die Individualität des Kranken (und die Perfönlichkeit des
Arztes) im Mittelpunkt der ärztlichen Tätigkeit fteht, ergeben fich wie für die
Arznei in der grofjen Bedeutung der richtigen Dofierung, fo auch für das
Krankenhaus neue Gefichtspunkte und neue Probleme. Wenn nämlich die
Individualiät, Art und Gröfje der Reizbarkeit des einmaligen Organismus
eine entfeheidende Rolle fpielen, wird jede Umwelt und damit auch das
Krankenhaus an fich als reizender oder reizdämpfender Faktor von thera-
peutifcher Bedeutung. Wir wiffen darüber noch fehr wenig. Nur im Seelifchen
können wir hier heute bereits differenzieren. Für die Frau des Arbeitslofen
bedeutet das Krankenhaus durchaus nicht das Gefängnis wie für den aktiven
Menfchen. Zermürbt und verbraucht, atmet fie auf, wenn fie einmal bedient
wird. Oder: der chronifch Kranke gehört durchaus in den Saal mit feiner Ab-
wechslung, während man den akut Kranken in ein Einzelzimmer legen wird.
Und man wird fchliefjlich den Kopfhörer des Radio, „das doch eigentlich
jedes Krankenhaus heute haben mühte", und das den unruhigen Neur-
aftheniker gewih leichter als jedes Beruhigungsmittel ans Bett feffelt, dem
Drückeberger nicht bewilligen. Im Phyfifchen fteckt hier noch alles in den
Anfängen, fo dafj wir hier im Krankenhaus noch gar nicht differenzieren kön-
nen. Man braucht nur an die Wetterfühler zu denken, an die Abhängigkeit
des Fiebers und wohl aller biologifcher Vorgänge von der kosmifchen Pe-
riodizität, an den bekannten Satj, dafj nachts ein anderer Teil des Nerven-
fyftems wacht als am Tage, um zu erkennen, welch wichtige Faktoren für die
Behandlung von Krankheiten hier noch ungenutzt vorhanden find, wie un-
entwickelt unfere Krankenhäufer in diefer Hinficht in ihrem Aufbau find. Hier
tut eben vorerft noch Forfchung not: Eine Umweltskrankheitslehre und ihre
Ergänzung, eine Lehre von dem fchickfalsmäfjigen Lebensablauf, eine Geo-
pathologie und eine wohlverftandene Raffenkunde. Und gerade hier er-
wächft nun dem Krankenhaus eine neue wefentliche Aufgabe: entfeheidend

59 kann nur das Krankenhaus in derFörderung unfererErkenntnis mithelfen. Denn

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